220 - Die Reise nach Taraganda
ausbrachen.«
»Unruhen?«
»Nun, als feststand, dass der Komet die Erde treffen würde, wollten alle gern mit einem Auto zum Südpol flüchten.«
»Wo ist er eingeschlagen?«
»In Sibirien – nehme ich an.«
Ostwald fragte sich, ob es in Sibirien jetzt auch so kalt war wie hier. Als er sich umdrehte, fiel sein Blick auf eine Wand, auf die jemand mit roter Farbe Omar & Farah gesprüht hatte.
Farah folgte seinem Blick und errötete.
Omar fand beides – die Aufschrift und ihr Erröten – rührend. Sein schlechtes Gewissen wuchs.
»So nach einem Jahr«, hauchte Farah, »als ich eines Abends an deinem Bett saß und deine Hand hielt, wurde mir klar, wie gern ich dich habe.« Ostwald schluckte. »Ich hab es dir gesagt«, fuhr Farah fort. »Und weißt du, was du getan hast?« Sie wartete seine Antwort nicht ab. »Du hast meine Hand gedrückt. Du hast im Koma gelegen, aber du hast meine Hand gedrückt.« Ihre Stimme versagte. Sie fing an zu weinen. Ostwald zog sie an sich und küsste sie.
»They call it Puppy Love…« Die Stimme hinter ihnen troff vor Häme.
Ostwald und Farah trennten sich. Im Rahmen einer Tür stand Jussuf Ben Hadibi. Ostwald erkannte ihn kaum, denn er hatte sich in den vergangenen Jahren zu seinem Nachteil verändert.
»So, so, der Schläfer ist erwacht.« Jussuf kicherte boshaft. »Von wem war das noch gleich?«
»H.G. Wells, würde ich vermuten«, erwiderte Ostwald. Der gut aussehende Frauentyp aus seiner Erinnerung war abgemagert und faltig. Seine Augen glitzerten wahnsinnig, sein Kinn bebte. Seine Gesten verkündeten, dass er ein nervliches Wrack war. Eine Folge des Drogenkonsums?
Ostwald hielt es eher für eine Folge von Drogenknappheit: In dieser apokalyptischen Welt kam man nicht mehr an alles heran. Auch wenn Rajid über ein Chemielabor gebot, ohne Rohopium konnte jede Droge, die etwas brachte, nur ein schaler Abklatsch von echtem Kokain sein.
»Eine große Fresse hat unser Schnüffler auch noch.« Jussuf blieb vor Ostwald stehen und gab seiner Schwester einen Wink. »Hau ab. Ich hab mit dem alten Mann zu reden.«
»Jussuf…«
»Ich kann dich auch von meinen Männern ins Haus schleifen lassen.«
Farah schlug den Blick nieder.
Ostwald, der seine Lage nun als bedrohlich empfand, sah ihr an, was sie dachte: Ich weiche der Gewalt.
Als sie gegangen war, wandte sich Jussuf ihm zu. »Ich weiß, wer Sie sind.« Er lachte gemein. »Zum Glück ging die Welt erst unter, nachdem Rajid seine Beziehungen spielen lassen konnte.« Er warf einen finsteren Blick auf die ebenso finstere Landschaft. »Als wir wussten, wer Sie sind, Hauptmann Ostwald, kamen uns böse Gedanken. Wir konnten nicht ausschließen, dass Sie die Nähe unserer lieben Schwester nur gesucht haben, weil der MAD sie beauftragt hat.«
»Ich kann Sie beruhigen, Monsieur Hadibi.« Und außerdem spielt es überhaupt keine Rolle mehr. »Ich war nicht im Auftrag des MAD mit ihrer Schwester zusammen, sondern« – er schluckte – »aus Zuneigung.«
»Könnte es vielleicht auch sein, dass ein gewisser Herr aus Hamburg, der in der Volksverdummungsbranche tätig war, Sie geschickt hat, um etwas über den Verbleib seiner missratenen Tochter zu erfahren?« Jussufs Grinsen war so tückisch wie nur was. Ostwald erkannte, dass er alles über ihn wusste.
»Spielt das noch eine Rolle?« Er musterte den Mann, dem der Hass auf die Welt aus den Augen sprühte. »Wenn es stimmt, was ich von Farah über den Zustand der Welt gehört habe, ist er wahrscheinlich längst tot.«
Jussuf starrte ihn an. Dann nickte er. Er wirkte nun fahrig, als hätte er den Faden verloren. Er hustete nervös und drehte sich um, als wolle er gehen. Eine Sekunde später überlegte er es sich anders. Er fuhr herum, packte Ostwald am Kragen seines Anoraks und zischte: »Ich sag’s Ihnen, weil Ihr Wort hier ohnehin kein Gewicht hat. Ich sag’s Ihnen, weil ich es jemandem sagen muss; denn wenn ich es nicht tue, platze ich!« Seine Augen funkelten. »Rajid ist nicht von Bären getötet worden, wie Sie vielleicht gehört haben! Ich habe ihn umgebracht! Ich!«
Warum erzählt er mir das?, dachte Ostwald. Das macht er doch nicht nur, weil er irre ist…
»Er hat in seinem Labor alles kaputt gemacht, mit dem man das Zeug herstellen kann, das ich zum Leben brauche. Verstehen Sie?«
Und ob, dachte Ostwald. Ein Süchtiger deines Kalibers ist fürs Überleben der Familie in dieser Welt ein zu großes Risiko.
»Ich hab ihn kaltgemacht. Ich mach alle kalt, von denen ich
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