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220 - Die Reise nach Taraganda

220 - Die Reise nach Taraganda

Titel: 220 - Die Reise nach Taraganda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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entschuldigend die Achseln. »Jussuf wollte die Maschinen, die dich am Leben erhalten haben, schon vor Jahren abschalten, aber ich habe Rajid überredet, es nicht zu tun.« Sie seufzte. »Ich habe dich gepflegt.«
    Vier Jahre! Ostwald hatte den Schock kaum verdaut, da überspülte ihn schon ein starkes Schamgefühl. Er hatte Farah nur als Mittel zum Zweck gesehen. Sie hatte ihm das Leben gerettet. »Was ist mit meinen Beinen?«, krächzte er. »Kann ich gehen?«
    Zu seiner Überraschung lachte Farah. »Gehen? Ja, wohin denn, um alles in der Welt?«
    Ostwald spürte die Komik der Situation ebenfalls. »Ich meine… nur ganz allgemein: Ob ich mich bewegen, auf meinen Beinen gehen kann. Ich spüre sie nämlich nicht.«
    Farah seufzte. »Du bist nicht gelähmt, wenn du das meinst. Das haben die Ärzte in Mwanza festgestellt, als wir dort waren.«
    »Warum sind wir jetzt hier?«
    Farah beugte sich vor. Ostwald sah ihre haselnussbraunen Augen im Schein der Bildschirme blitzen. »Du hast mich nicht verstanden, nicht wahr?« Sie räusperte sich erneut. »Vier Jahre sind vergangen. Du hast viel versäumt, aber ich kann dir auch sagen, dass du von vielem verschont geblieben bist. Die Welt… ist nicht mehr so, wie du sie kennst.«
    Und Ostwald erfuhr, dass ein Desaster großen Ausmaßes die Welt buchstäblich aus den Angeln gehoben hatte.
    Ein Riesenkomet, der mit der Erde zusammengeprallt war, hatte die Zivilisation vernichtet und einen so genannten nuklearen Winter ausgelöst: Der Einschlag hatte Explosionen, Erdbeben und Tsunamis ausgelöst und Milliarden Tonnen Erde und Staub in die Atmosphäre aufsteigen lassen. Seit vier Jahren herrschte auf der Erde Nacht: Ohne Sonnenlicht war die Flora eingegangen. Der Urwald war tot; mit ihm die meisten Tiere.
    Ostwald war wie vor den Kopf geschlagen. Als Farah ihn allein ließ, um zu melden, dass er wieder bei Sinnen war, lag er im Dunkeln und lauschte seinem Herzschlag und dem Gewisper vieler Omars aus den unterschiedlichsten Epochen seiner Existenz.
    Die jüngeren Omars begriffen nicht, was passiert war; sie jammerten und wehklagten, sie riefen nach ihrer Mama und wollten auf die grünen Auen ihrer Kindheit zurück. Die reiferen Omars – die Offiziere und Gentlemen – lehnten sich zurück und meinten ganz pragmatisch, es sei wohl am Besten, sich an die veränderte Lage anzupassen und das Überleben zu sichern.
    Sobald Ostwald wieder bei Kräften war, fing er – im Bett liegend – unter der Aufsicht eines medizinisch ausgebildeten Hadibi-Vetters mit gymnastischen Übungen an.
    Nebenher erfuhr er Konkreteres über die Lage: Die Hadibi hatten sich Monate vor dem Untergang mit ihrem Hofstaat nach Zanda zurückgezogen. Sie hatten alles dorthin geschafft, was man brauchte, um eine gewisse Zeit autark und vom Rest der Welt isoliert zu leben: Lebensmittel, Samen, Nutzvieh. Man hatte die Pueblos zu Stallungen, Treibhäusern und Lagerhäusern umgebaut und unzählige Tonnen Fleisch und andere Dinge eingelagert. In den Kammern und Kellern des geheimen Reiches stapelten sich Vorräte bis an die Decke.
    Die Welt draußen – Ostwald sah sie zehn Tage später, als er wieder auf eigenen Beinen stehen konnte – wirkte wie ein schlecht belichteter Horrorfilm: Da und dort ragten gespenstisch vereinzelte Bäume wie Skelettfinger aus dem Schnee. Seit dem Kometeneinschlag hüllte eine weiße Decke die ganze Welt ein.
    Die Kälte ließ Ostwalds Zähne klappern, als er im Licht kalt glitzernder Sterne auf dem Dach des mittleren Pueblos stand, obwohl er so dick eingepackt war wie ein Arktisforscher. Zum Glück war es im Inneren Zandas weniger kalt: Das Reich der Hadibis wurde mit Holz beheizt; davon gab es jede Menge, wenn man es auch freischaufeln musste.
    Rajid, berichtete Farah, war vor einigen Wochen bei einem Streifzug umgekommen: Tollwütige Bären aus Osteuropa waren über Kleinasien nach Afrika gelangt. Ihnen war er vermutlich in die Quere gekommen. Aus Indien eingefallene Rattenheere, die den Bären auf der Suche nach Wärme folgten, vermehrten sich rasend und wurden immer größer.
    »Wie viele Menschen leben hier?«, fragte Ostwald.
    »Etwa siebzig. Ein Drittel gehört zur Familie, der Rest sind Angestellte Rajids und nützliche Freunde mit Angehörigen: Ärzte, Chemiker und Ingenieure.«
    »Was ist aus dem Mann geworden, der auf mich geschossen hat?«
    »Karim?« Farah winkte ab. »Er kam vor unserem Rückzug nach Zanda in Mwani ums Leben. Als die Unruhen

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