221 - Feindliche Übernahme
Harv’ah, dem großen weißen Thunfisch, der ihr beistehen sollte.
Fasziniert beobachtete Aruula die Bemühungen Sülaykas, ihr Leben zu retten. Die Frau mischte unermüdlich Kräuter, kochte Tees und saß viele Stunden neben dem Bett, um sie ihrem Körper mit Elnaksgeduld einzuflößen. Sie gab nicht auf und versuchte es so lange, bis die Kriegerin wenigstens ein paar Schlucke des Tees bei sich behielt. Dann lächelte Sülayka, schaute gütig auf das totenbleiche Gesicht hinunter und streichelte ihm zärtlich Aruulas Stirn. Dabei murmelte sie ein aufmunterndes: »Du schaffst es, Kindchen. Du bist so jung und so schön. Weißt du, du erinnerst mich an meine Tochter Sara. Sie war wie du und hatte sich bereits das Hochzeitskleid genäht. Aber dann fiel sie beim Baden im Nil einem Crooc zum Opfer.« Ein paar Tränen flossen aus Sülaykas Augen. »Ich weiß, dass mir Gott Inschla dich statt ihrer geschickt hat, damit ich dich rette. Und das werde ich tun.«
Die Frau verzichtete auf eigenen Schlaf, um sofort auf jedes kleinste Signal der Todkranken reagieren zu können. Bald hatte sie tiefe schwarze Ringe unter den Augen. Sie betete zudem inbrünstig, opferte dem Gott Inschla kleine Tiere und Kooknüsse und erflehte Beistand für die Fremde von ihm.
Dann wieder malte sie mit Kreide Kreise um das Lager und füllte die Zwischenräume mit magischen Zeichen.
»Weißt du, du sollst auch deswegen leben, weil wir in unserem Clan dringend frisches Blut brauchen«, sagte sie ein andermal. »Du wärst die geeignete Mutter für neue, gesunde Kinder.«
Obwohl Nefertari noch immer in tiefer Bewusstlosigkeit lag, erbrach der Körper das ihm eingeflößte Wasser irgendwann nicht mehr. Sogleich versuchte es Sülayka mit einem weißen, nahrhaften Brei aus zerstampftem Fisch und Früchten. Sie freute sich wie ein kleines Kind, als auch dieser irgendwann in den Magen wanderte. Und als nächtens wieder Schweißtropfen auf Aruulas Haut erschienen, schluchzte die Frau vor Glück.
Sie legte sich neben der Kranken aufs Bett und verfiel zum ersten Mal seit vielen Tagen in einen tiefen Schlaf.
Das Schlimmste schien überstanden zu sein. Nefertari dämmerte ab jetzt dem Leben entgegen. Ihre Albträume nahmen merklich ab, sie schlief nun meist tief und ruhig.
In immer kürzeren Zeitabständen erwachte sie und blieb jedes Mal ein bisschen länger bei Bewusstsein. Anfänglich sah sie in Sülayka den großen weißen Thunfisch Harv’ah, aber auch das wurde besser. Nach fünfzehn Tagen fühlte sich Nefertari zum ersten Mal wieder von neuer Kraft erfüllt.
Sie hob den Oberkörper vom Lager und stützte ihn auf die Ellenbogen. »Ich will etwas zu trinken und ein Bad«, herrschte sie Sülayka an. »Beeile dich, Sklavin!«
Die Beduun verstand kein Wort, denn Nefertari sprach Altägyptisch. Und sie achtete auch nicht auf den Ton. Allein die Tatsache, dass sich die zuvor Todgeweihte aufgerichtet hatte und sprach, versetzte sie in hellstes Entzücken. Sie kicherte und brabbelte, schlug die Hände vor den Mund und tastete gleich darauf unbeholfen nach Nefertari.
»Was fällt dir ein, Elende«, zischte die und schlug Sülaykas Finger weg. »Wie kannst du es wagen, eine Königin zu berühren? Bring mir sofort ein Kleid. Du hast mich lange genug nackt gesehen und mit deinen derben Fingern betatscht.«
Lass sie in Ruhe, Nefertari!, meldete sich Aruula zu Wort.
Ohne ihre aufopferungsvolle Hilfe wären wir jetzt beide tot.
Nefertari stutzte. Ah, du bist ja auch noch da, fremde Frau.
Fast hätte ich dich vergessen.
Aruula schwieg. Sie spürte neuerliche Tastversuche der Königin an ihrem Geist, aber die Barriere, die sie errichtet hatte, war stärker als je zuvor. Nefertari gab sofort wieder auf.
Am nächsten Tag erhob sie sich bereits wieder und ging im Schiff hin und her. Mehr als ein paar Schritte schaffte sie aber nicht. Die Schwäche in ihren Beinen wurde so groß, dass sie sich auf der Stelle setzen musste. Die Knie in ihrem weiten gelben Kaftaan zitterten so stark, das sie gegeneinander schlugen. Sülayka musste ihr helfen, aufs Lager zurück zu kommen.
Erst nachdem sie drei Tage lang ihre Muskeln durch Kniebeugen und das Stemmen leichter Gewichte wieder etwas gekräftigt hatte, konnte Nefertari nach draußen. Als sie zwischen den Zelten umher ging und den warmen Sand zwischen ihren nackten Zehen genoss, war sie die Attraktion schlechthin. Männer, Frauen und Kinder gafften sie ohne Unterschied an. Manche trauten sich sogar, sie zu
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