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221 - Feindliche Übernahme

221 - Feindliche Übernahme

Titel: 221 - Feindliche Übernahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Schwarz
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Aber ich habe die Bewusstseine meiner Gastkörper niemals getötet; wir haben immer friedlich zusammen gelebt, nachdem sie meine Anwesenheit akzeptiert hatten.
    Aruula war klar, dass es sich bei dieser Behauptung um eine glatte Lüge handelte. Niemand hielt es auf Dauer aus, mit einem zweiten, selbstständigen Bewusstsein in einem Körper zu leben.
    Allerdings hielt es Aruula durchaus für möglich, dass Nefertari sich in ihrem Fall nach einem anderen Körper umschauen würde. Sicher nicht aus Dankbarkeit, sondern weil sie keinen Widerstand gewöhnt war. Eine Lauscherin hatte sie wohl noch nie zuvor übernommen.
    Du hast von deinem schrecklichen Gefängnis gesprochen, Königin. Erzähl mir davon.
    Ja. Ich erzähle dir alles, aber nur, wenn auch du aus deinem Leben erzählst und mir endlich deinen Namen nennst.
    Gut. Ich heiße Aruula und bin eine Kriegerin vom Volk der dreizehn Inseln. Dort bin ich geboren und aufgewachsen.
    Aruula. Hm. Das klingt fremd in meinen Ohren. Liegen diese Inseln vor den Küsten der Nordländer?
    Ja.
    Höre also meine Geschichte, Aruula. Ich bin bereits bei deren Geburt in den Körper der Prinzessin Nefertari gelangt.
    Und ich stieg an Ramses’ Seite zur mächtigsten Großen Königlichen Gemahlin auf, die das Land Kemet je gesehen hat.
    Mehr noch, ich war die eigentliche Herrscherin, denn Ramses handelte nach meinem Willen. Wir führten Kriege und machten das Land Kemet so groß und mächtig, wie es noch nie zuvor gewesen war.
    Ich gebar Ramses vierundzwanzig Kinder, darunter einige missratene. Mosa, der Thronerbe, war ein solches. Er war verweichlicht und eitel. Als ich ihm nach Ramses’ Tod den Thron verweigerte, floh er nach Abu Simbel und brachte mich dort um, als ich die beiden Tempel besuchte, um Ramses zu ehren.
    Nefertari hielt einen Moment inne. Er rächte sich an mir, indem er mir eine normale Bestattung verweigerte, denn ich sollte nicht ins Totenreich eingehen, sondern dem ewigen Vergessen anheim fallen. Gerade dadurch aber gestattete er mir das Überleben. Denn er rechnete nicht damit, dass die Götter selbst mir beistanden. Als Mosas Gift Nefertaris Körper tötete, konnte ich meinen Geist in einen Skarabäus retten, der sich in meine Schlafkammer verirrt hatte. Ich tauchte ein in eine unglaublich bizarre Welt, die nur aus Instinkten, Fressen und Angst bestand. Ich hatte fast keine Kontrolle über diesen fremdartigen Insektenkörper und schaffte es mit knapper Not, durch Nefertaris Mund zu kriechen und in ihrer Kehle Zuflucht zu finden. Dort musste ich miterleben, wie Mosa meinen Leichnam in einen Sarkophag legte und flüssiges Harz über ihn goss.
    Rasch brachte ich den Skarabäus dazu, sich durch das Harz zu graben, bis ich einen Tunnel freigelegt hatte – doch aus dem steinernen Sarg selbst konnte ich nicht fliehen. So gefangen, zwang ich das Insekt in immer längere Schlafphasen. In den Momenten des Wachens nährte ich mich von dem Leichnahm.
    Schließlich gelang es mir, den Käfer in eine Starre zu versetzen, die dem Tod gleicht, ohne wirklich Tot zu sein. Vor allem mein ungeheurer Hass auf Mosa trieb mich an.
    Nefertaris sprach nun leiser, fast andächtig. Ich habe sehr viel darüber nachgedacht, was damals passiert ist. Mein Hass und meine ständigen Gedanken müssen verhindert haben, dass das Hirn des Käfers abstarb. Mit einem menschlichen Gehirn wäre mir das niemals gelungen, aber das des Insekts war einfach genug, um es am Leben zu erhalten. So konnte ich überleben, bis du mich befreit hast.
    Die Götter müssen mir zur Seite gestanden haben. So wie der große weiße Thunfisch Harv’ah, der in meinen dunkelsten Stunden zu mir fand. Immer stand er mir als treuer Freund zur Seite und hat mich getröstet und ermuntert. Auch jetzt ist er noch da. Siehst du ihn, Aruula?
    Die Kriegerin blickte durch Nefertaris Augen hinauf zur Decke – aber da war nichts außer einigen Schnüren, an denen Sülayka Kräuter trocknete. Wo?
    Du siehst ihn nicht? Seltsam. Vielleicht bist du ja krank?
    Ich sehe ihm geradewegs in die Augen. Er lächelt und winkt mir mit der linken Flosse zu. Du musst ihn einfach sehen.
    Aruula glaubte zu verstehen. In den Jahrtausenden ihrer Einsamkeit hatte sich Nefertari einen Gefährten erdacht und ihn schon bald für real gehalten. Wie würde Maddrax sagen?
    »Sie hat einen an der Klatsche.«
    Aruula beschloss, eine weniger fatale Erklärung zu formulieren. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich ein Mensch bin und keine hydritischen Götter sehen

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