225 - Kalis Kinder
wie eine Faust, und darin geblättert. Ich habe gesehen, dass dort wunderschöne Bilder von Pflanzen drin sind. Papa nennt sie
»Fotos«. Ich schwöre es: Die Pflanzen auf diesen Fotos sehen so echt aus, als hätte sie ein Schamane direkt in das Buch hinein gezaubert.
Kenna verliert immer öfters das Bewusstsein. Aber das ist fast ein Segen für ihn, denn wenn er wach ist, juckt es ihn so stark, dass er sich wie verrückt kratzt. Überall hat er schon offene Wunden. Ich halte das kaum noch aus.
24. Dezember 2435: Die letzten Tage hat Papa wie besessen Salben gemischt und Medizin angerührt. Ich habe ihm die eine oder andere Pflanze aus dem Dschungel besorgt. Er sagt, dass er die meisten der Pflanzen kennt, die in den Büchern fotografiert sind. Allerdings habe ich das Gefühl, dass sie damals viel kleiner waren. Die Blätter des Neembaumes zum Beispiel sind heute so groß, dass ich mich einwickeln könnte, aber damals scheinen sie nicht größer als eine Hand gewesen zu sein. Das ist wohl auch der Grund, warum Papa bei einigen Pflanzen raten muss. Er zerstampft sie, kocht sie ab, mischt sie mit verschiedenen Mineralien, Erzen und tierischen Produkten, darunter auch der Dung von Snaaks. Igitt. Aber wenn’s hilft.
27. Dezember 2435: Es hilft tatsächlich! Nach drei Mixturen, die nichts genützt haben, scheint Papa eine gefunden zu haben, die wirkt! Die Salbe, die er angerührt hat, sieht grünlich-bläulich aus. Bereits nach der dritten Behandlung haben sich die Eiterpusteln zurückgebildet, auch die furchtbaren schwarzen Hautflecken verschwinden allmählich. Gleichzeitig flößt er Kenna einen Trank ein, der das Immunsystem stärken soll. Wischnu, ich bin ja so erleichtert und danke dir, dass du Papa unterstützt hast, diese Wundersalbe zu finden. Und Mama jubelt und tanzt, auch wenn Papa sagt, noch sei gar nichts gewonnen.
7. Januar 2436: Kenna ist über den Berg, er erholt sich zusehends. Seine Haut ist fast schon wieder so wie vorher. Wir sind alle so erleichtert. Papa sagt, dass er die Behandlung noch ein paar Monate fortsetzen wird, um sicher zu sein, dass alles weg ist.
24. April 2436: Wischnu, was tust du uns an? Vor einer Woche hat Papa Kennas Behandlung endgültig eingestellt. Aber nun hat die Haut meines Bruders zu schrumpeln begonnen und zeigt wieder Risse! Es sieht unheimlich aus. Auch kommt dieses Jucken wieder. Die Immunschwäche kann also nicht geheilt werden – aber immerhin verschwinden die Symptome sofort, wenn Papa die Salbe erneut aufträgt. Ohne sie wäre Kenna längst tot.
3. August 2447: Unglaublich, ich bin ja so verliebt! Ich hätte nicht gedacht, dass sich in meinem schon fortgeschrittenen Alter doch noch ein Mann für mich finden würde. Kannur ist so, wie ich mir einen Lebenspartner immer vorgestellt habe, auch wenn er in Sachen Intelligenz nicht mit unserer Familie mithalten kann. Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht. Ich werde annehmen und bin der glücklichste Mensch der Welt.
Kenna hat mich umarmt und mir gratuliert; er mag Kannur auch, und das macht mich am glücklichsten. Vor allem auch, weil Kenna beschwerdefrei leben kann, wenn er nur regelmäßig Papas Wundersalbe aufträgt.
7. Oktober 2447: Wir hatten eine wunderschöne Hochzeit. Und ich bin schwanger! Seit über einem Monat trage ich das werdende Leben bereits in mir. Durch die Schwangerschaft habe ich ziemliche Schrumpelhaut an den Oberschenkeln und am Unterbauch bekommen, aber das Problem ist bereits behoben. Ich habe nämlich heimlich von Papas Wundersalbe genommen und trage sie regelmäßig auf. Auch wenn Papa eifersüchtig darüber wacht und sagt, dass sie nur für Kenna ist.
Aber mein Immunsystem ist ja in Ordnung, also wird mir nichts geschehen. Damit ich sie später vielleicht mal selber zusammenmischen kann, habe ich mir heimlich das Rezept abgeschrieben. Das darf er natürlich niemals erfahren. Ich glaube, er wäre ernsthaft böse.
14. Dezember 2447: Wischnu hilf uns! Es ist grauenhaft, alle Dämonen der Erde haben sich gegen uns verschworen. Papas Salbe hilft Kenna nicht mehr! Mein Bruder hatte sie in immer kürzeren Abständen auftragen müssen, aber nun nimmt die Haut den Wirkstoff nicht mehr an. Sie schrumpelt und löst sich auf. Papa hat meinen Bruder erneut »verschwinden lassen« und versucht verzweifelt, eine neue Salbe zu finden, aber er wird den Kampf dieses Mal verlieren. Kenna zerfällt rasend schnell.
Er kratzt sich nur noch, schreit, brüllt und schlägt um sich. Sein Blick ist irr, ich
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