2274 - Motoklon Hundertneun
und zuckte kurz, blieb aber bewusstlos.
Ein Tusch ertönte. Schrill, grell, laut. Er übertönte bei weitem das Prasseln der Flammen und das bedrohliche Ächzen der Metallträger.
Hundertneun fuhr herum, die Mediale Schildwache nach wie vor in den Armen.
Da! Schon wieder! Es klang wie das Zusammenschlagen zweier Tschinellen. Ganz nahe war es, kam von schräg unterhalb seines Standorts. Aus einer der Kisten!
Er trat zu, fegte mehrere der Schachteln beiseite, in das Flammenmeer, das immer weiter in die Höhe wuchs, zerfetzte dabei die Kunststoff-Ummantelungen.
Etwas kullerte aus der schützenden Ummantelung. Ein bewegliches Etwas, ein Spielzeug!
Ein Echsenmännchen, das mit langsamen, schwerfälligen Schritten auf die Feuersbrunst zumarschierte. Pauken und Tschinellen schepperten rhythmisch, der Mund mit den hölzernen Zähnen klapperte auf und zu. „Tagg Kharzanü", kreischte es auf Kybbsch. „Tagg Kharzani! Tagg-Tagg-Tagg Kharzanü" Unbeholfen torkelte die Figur weiter, von der Hitze immer stärker in Mitleidenschaft gezogen - und zerschmolz schließlich Blasen schlagend. „Das hier ist alles Spielzeug!", konstatierte Hundertneun. „Nachschub für den Zug der Zirkularen Kapelle!"
Etwas in ihm, ein seit langer Zeit passiv gestellter Datenstrang, schnellte in sein Bewusstsein.
Es war eine ... Frage. Eine Ungleichung. Warum beschäftigt sich das weit und breit mächtigste Wesen mit derlei Tand?
Es blieb keine Zeit für lange Analysen. Die Halle drohte jeden Moment vollends wie ein Kartenhaus in sich zusammenzubrechen.
Trotz aller Rücksicht auf die Frau in den Armen bahnte er sich seinen Weg. Er arbeitete weiterhin mit den Beinen, legte die volle Wucht des Körpergewichts von nahezu zwei Tonnen hinter jeden Schritt, der ihn tiefer in die Halle brachte.
Er hatte das Gebäude nicht zufällig als Treffpunkt ausgewählt. Er wusste ganz genau, wo er hinmusste. Hier, versteckt und kaum genutzt, befand sich ein Antigravschacht, der in den Untergrund des Raumhafens führte. Und von dort aus ... „Wo bin ich?" Die Mediale Schildwache bewegte sich in seinen Armen.
Behutsam setzte er die Frau ab und schützte sie mit seinem Leib gegen das lodernde Feuer.
Sie wankte, blieb aber stehen. Das ausgerenkte Schultergelenk ließ ihren sonst so perfekten Körper merkwürdig unsynchron erscheinen.
Er gab Lyressea ein paar Momente Zeit, die Situation zu erfassen.
Ihr Blick klärte sich. Kurz verzog sie das Gesicht und zeigte Abscheu. Offensichtlich, weil er, der frühere Feind, sie gehalten und getragen hatte. Dann orientierte sie sich und erf asste die Situation mit einer Schnelligkeit, die Hundertneun als außerordentlich beurteilte. „Wo ist der Abstieg?", fragte Lyressea. „Unter den Trümmern, die durch das Dach gestürzt sind", entgegnete er. „Ich muss graben; meine körpereigenen Kraftfelder stehen kaum zur Verfügung."
„Graben?" Ihre Pupillen weiteten sich. Ein Zeichen des Erstaunens. „Ja", sagte er, „bitte geh zur Seite!"
Wortlos gehorchte sie. Sie hockte sich zur Wand der einsturzgefährdeten Halle und beobachtete ihn bei seiner Aufräumarbeit.
Hundertneun schätzte den ungefähren Energieverbrauch ab. Die teilweise noch glühende, ineinander verbackene Masse reichte vier bis sechs Meter in die Höhe.
Es würde ihn viel kosten. Vielleicht mehr, als er zur Verfügung hatte. Sein Selbsterhaltungstrieb empfahl ihm, nach einer Variante zu suchen. Aber die Frau war erschöpft. Sie benötigte Ruhe. Das Sorgen um ihre Sicherheit besaß unter allen Umständen Priorität, so war' es ihm anbefohlen.
Also trat Hundertneun ein Stück vor, bückte sich und räumte die ersten Träger beiseite. Er achtete nicht darauf, dass seine Hände Substanz verloren. Die Schmerzrezeptoren hatte er längst ausgeschaltet.
Metallstücke platschten auf seinen Rückenkamm, dann traf ihn ein weiteres Trümmerstück, das bislang in den Verstrebungen des Daches festgehangen hatte. Das tonnenschwere Teil fiel ihm schwer auf den Steiß. Es schlug eine tiefe Wunde, die er nicht wieder schließen konnte.
Dazu fehlten Zeit und Energie.
Substanzverlust bislang zwölf Prozent, errechnete der Motoklon.
Und mit jeder Minute schwand seine Körpermasse. Im Zentrum des Chaos war der Boden von erhitztem Metall bedeckt, das er mit Händen und Füßen beiseite schaufeln und schieben musste. Seine Restenergie nutzte er, um die Haufen zur Seite von sich und der Frau abzuhalten. Seine Glieder schmolzen dahin, er wurde merklich kleiner.
Endlich
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