228 - Crows Schatten
Rage schritt zu seinem Schreibtisch und setzte sich.
Rev’rend Torture öffnete die Tür. »Ich komme mit schlechten Nachrichten«, sagte er bedrückt. »Rev’rend Sweat und Rev’rend Ripper sind seit dem Morgengrauen überfällig.«
»Was sagst du da, Bruder?« Rev’rend Rage sperrte Mund und Augen auf. »Überfällig? Sie sollten doch den Bocksköpfigen zur Strecke bringen!«
»Ja.« Rev’rend Torture ließ sich gegen die Tür fallen und drückte sie hinter sich ins Schloss. »Ich habe ihnen gleich gesagt, dass sie mich mit auf die Dämonenjagd nehmen sollten. Bis zur Stunde sind sie nicht zurückgekehrt.«
***
»Mehr!«, riefen die Kinder. »Noch eine Geschichte!«
Rev’rend Fire warf einen hilflosen Blick zu dem fettleibigen Rev’rend Rock. Er hatte gerade die vierte Gute-Nacht-Geschichte beendet. Das großformatige Buch, aus dem er vorgelesen hatte, hielt er noch aufgeschlagen in der Rechten.
»Noch mehr Geschichten!«, riefen die Zwillinge, und das kleine Mädchen bettelte: »Bitte, bitte…«
»Es ist schon dunkel, Kinderchen«, sagte Rev’rend Rock lächelnd. »Ihr gehört eigentlich längst ins Bett.«
»Mehr, mehr!«, riefen die Kinder im Chor.
»Sicher doch, sicher.« Immer noch lächelnd hob Rev’rend Rock in einer Geste der Beschwichtigung beide Arme. »Morgen gibt es mehr Geschichten, und heute gibt es zum Abschluss ein Gute-Nacht-Lied!«
»Mehr Geschichten!«, riefen die Kinder im Chor. »Kein Lied! Mehr Geschichten, mehr Geschichten!«
»Ein Gute-Nacht-Lied!«, flötete der dicke Rev’rend mit seiner Knabenstimme. »Das schönste, das wir kennen!«
»Geschichte! Geschichte!«
»Schluss jetzt!« Das Lächeln fiel dem Schwergewicht mit der engelhaften Lockenpracht aus dem fetten Gesicht. Der strohblonde Rev’rend Fire neben ihm wirkte immer ratloser. »Eine Lied noch, und dann ab ins Bett! Und wenn jetzt nicht sofort Ruhe und Ordnung einkehrt, gibt’s überhaupt nichts mehr – ist das klar?«
»Noch mehr Geschichten!«, riefen die Kleinen im Chor. »Noch mehr, noch mehr!«
»Na gut! Dann gibt’s eben auch kein Lied mehr!« Rev’rend Rock verschränkte die Arme vor der Brust, schürzte die Lippen und schnitt eine beleidigte Miene. »Ins Bett mit euch!« Mit einer knappen Kopfbewegung bedeutete er Rev’rend Fire, sich die Kinder zu greifen und sie in ihre Schlafkammer zu schaffen.
» Noch mehr, noch mehr!«, schrien die drei Kleinen. Sie sprangen auf die Sitzfläche der Bank. » Noch mehr, noch mehr!« Im Rhythmus ihres Geschreis hüpften sie auf der Bank auf und ab. » Noch mehr, noch mehr!« Das Gestühl begann zu vibrieren.
Fassungslos starrten die beiden Rev’rends auf die Kinderrebellion in der ersten Bankreihe. »Nicht doch, Kinderchen…« Rev’rend Fire spitzte die Lippen und machte ein säuerliches Gesicht. »Das ist wirklich nicht fair… nachdem wir uns so um euch gekümmert haben heute…!«
» Noch mehr Geschichten, noch mehr Geschichten!« Sie schrien lauter und hüpften höher.
»Das ist ja…!« Der dicke Rev’rend Rock lief rot an. »Sofort setzt ihr euch wieder ordentlich hin!« Er ballte die Fäuste. »Dies ist ein Ort des HERRN! Ein heiliger Ort! Sofort setzt ihr euch anständig hin und macht, was ich sage!«
» Noch mehr, noch mehr!« Die drei Kleinen schrien nur noch lauter und tobten nur noch heftiger.
»Weg mit euch!« Mit ausgestrecktem Arm deutete Rev’rend Rock auf die entfesselten Winzlinge. Auffordernd blitzte er Rev’rend Fire an. »Walte deines Amtes und schaffe diese ungezogenen Schreihälse ins Bett!« Er verschränkte die Arme vor der Brust. Mit unerbittlicher Miene sah er zu, wie Rev’rend Fire an die Bank trat und sich über die Kinder beugte.
»Hört doch bitte auf«, jammerte der Blonde. »Jetzt haben wir uns so gut verstanden und ihr habt so viele Gebete auswendig gelernt…« Er beugte sich über das kleine Mädchen. »Jetzt wollen wir ins Bettchen gehen…«
» Noch mehr, noch mehr!«, geiferte es ihm ins Gesicht. Plötzlich hatte das Mädchen den Gesichtsausdruck eines wütenden Hündchens.
»Komm schon…« Er schloss die Arme um das Kind und drückte es an sich. »Ihr habt doch schon so viele Geschichten gehört…« Er hob das Kind hoch. »Weißt du was?« Er flüsterte dem Mädchen etwas ins Ohr. Rev’rend Rock sah es genau und wollte schon protestieren, weil er annahm, dass der junge Rev’rend dem Kind eine fünfte Geschichte in der Schlafkammer versprach, da hörten die Kinder auf zu schreien und auf der
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