2280 - Exil der Orakel
sexueller Austausch fanden nicht mehr statt. Einzig und allein die Zuneigung zu den Kindern existierte als verbindendes Element ihres Gehege-Schwurs. „Dann sollten wir aufbrechen", sagte ,Bort Leytmark schlicht.
Einmal noch drehte er sich im Kreis, schmeckte das Wasser, strich mit den Fingern über jene Grate und Handreiinge, die er so sehr gewohnt war. Auch wenn es nicht laut ausgesprochen wurde - sie traten eine Reise ohne Wiederkehr an. „Werden wir es schaffen?", fragte ihn Kentiloy überraschend, während sie durch die leeren Kavernen und Höhlen schwänzelten. „Natürlich!", antwortete Bort und hoffte, dass die Gehegin Zweifel und Angst in seiner Stimme nicht bemerkte. „Die Schmerzen ... sie sind kaum mehr erträglich", flüsterte sie. „Wie soll ich in diesem Zustand springen?"
„Wir werden es schaffen, weil wir ein Volk sind", entgegnete er. „Nicht als Einzelne werden wir teleportieren, sondern alle gemeinsam. Unsere Kräfte werden sich verbinden. Die Stärkeren werden die Schwächeren mitreißen." Impulsiv lehnte er sich an ihre Flanke, wollte ihr ein beruhigendes Gefühl vermitteln.
Sofort, wie von einem giftigen Falt-Aal berührt, rückte sie beiseite.
Die große Votumshöhle lag hinter ihnen. An den Ausgängen warteten die ungeduldig hin- und hertreibenden Kinder in der Obhut der Großeltern. Bort winkte sie zu sich, nahm Wiini zärtlich an seinen Hals. Die Berührung des väterlichen Körpers beruhigte das geistig ausgebrannte Mädchen, reduzierte seine oftmals unmotivierten Zuckungen.
Ein Strom letzter Nachzügler strebte den Ausgängen zu. Wortlos fügten sie sich in den Strom ein.
Prächtiger Sonnenschein empfing sie, sobald sie die Wasseroberfläche durchstießen. Ringsumher schnauften und prusteten Schota-Magathe. Sie alle wollten einen letzten Blick auf die Heimat werfen. Wasser kosten. Wellen genießen. Sich an Felsen reiben.
Langsam bahnte sich Bort seinen Weg durch die Menge, reihte sich ganz vorne bei den verdienten Patriarchen ein. Goth Dungear hielt sich etwas abseits. Es konnte Bort nur recht sein. Sollte sich der alte Narr weiter ins Abseits treiben lassen ... „Fasst euch an den Händen!", brüllte Primeo Junktur, der dank seines lauten Organs das Amt des Zeremonienmeisters übernommen hatte. „Nehmt die Kinder und die Alten zwischen euch!"
Die Information wurde von Reihe zu Reihe weitergetragen. Auch wenn sie sich traurig und deprimiert fühlten - die stetig stärker werdenden Schmerzen waren eine deutliche Warnung, dass keine Zeit zu verlieren war.
Andere Völker hätten sich in dieser Situation auf Schutzschirme, Anzüge, Funkgeräte und sonstiges technisches Brimborium verlassen, um das Risiko auf ein Minimum zu reduzieren. Nicht so die Schota-Magathe. Sie beschritten seit jeher einen anderen, einen besseren Weg. „Konzentriert euch!", schrie Primeo. „Denkt an das Ziel. An die neue Heimat. Stellt sie euch vor. Denkt für die Alten und Schwachen mit. Reißt sie mit euch, sobald ich den Gesang anstimme."
Gesang war ein meditatives Mittel zur Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit, das sie mit den Motana Baikhal Cains gemein hatten.
Primeo Junktur begann zu singen.
Seine Stimme war keineswegs treffsicher, aber sie erzeugte einen dunklen, gleich bleibenden Ton, in den sich die ersten Reihen der Schota-Magathe problemlos einfädeln konnten. Selbst Kinder und Greise wurden mitgerissen, stimmten in den Singsang ein. Immer lauter wurde es hier, zwischen den Stöcken der heimatlichen Cain-Orakelstadt und dem Felsen des Großen Grats.
Echos wurden hin und her geworfen, steigerten die Intensität des Liedes, prallten auf ihre Leiber zurück. „Morgen beginnt das Leben von neuem", hieß die Melodie.
Eigentlich handelte es sich um ein Schlaflied mit einem einfachen Abzählreim für quengelige Kinder. Aber keine anderen Wörter hätten ihren Abschied besser begleiten können.
Konzentriert bereitete sich Bort Leytmark auf den Sprung vor. Er spürte das kleine Herz neben sich schlagen, spürte die stetige Verwirrung in Wiini noch weiter wachsen. Sie hatte keine Ahnung, was um sie herum vorging, konnte nach den schrecklichen Geschehnissen nahe dem Heiligen Berg ihren Verstand nicht mehr nutzen. Alles prallte an ihr ab. Farbe hatte für sie die gleiche Bedeutung wie Sprache, das Wetter, Körperfunktionen oder eben Gesang. „Ich liebe dich", flüsterte Bort, klammerte das Mädchen enger an sich. Das Ende des Lieds, ein lang gezogener Brummton, erfasste die
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