2284 - Die Fliegenden Rochettes
Gott Gon-O", fuhr der charismatische Hohepriester fort, „ist nunmehr erwacht. Und zu uns herabgestiegen, um die Welt zu erlösen. Er weilt mitten unter uns!"
Vieltausendfacher Jubel brandete auf. In einer langsamen, großen Geste streckte Imberlock den rechten Arm schräg nach oben aus. Die Kamera schwenkte mit, bis der schwarze Riesenkristall ins Bild kam. „Dort, im Hyperquarz, wohnt und herrscht Gon-O", rief Imberlock. „Und ich darf euch hier und heute offenbaren, welche Pläne er mit uns hat!"
Babett bemerkte, dass sie sich vorgebeugt hatte und den Atem anhielt. Diese Ankündigung, doch mehr noch die Ausstrahlung des Predigers hatte sie in ihren Bann geschlagen.
Was für eine Persönlichkeit - Visionär und strenge Vatergestalt in einem! Dabei wirkte die Szene keineswegs einladend, sondern düster und bedrohlich, nicht zuletzt wegen des Schattens, den die gewaltige Masse des Kybb-Titanen über die ganze Umgebung warf. Immer wieder trieb der Wind Nebelfetzen und Regenschleier durchs Bild. Und Imberlock war alles andere denn eine Lichtgestalt, eher ein Dämon aus finsterer Nacht. Dennoch... „Unser Gott Gon-Orbhon", sagte er feierlich, „hat sich entschieden, uns zu prüfen. Nach einer kurzen Probezeit wird er die Wahl treffen, ob er seinen Jüngern von der Erde das Leben schenkt, weil sie sich als sein Volk erwiesen haben - oder ihr Leben nimmt, weil sie seiner nicht würdig sind."
Wieder brach die Menge, die sich um die Plattform drängte, in Begeisterungsstürme aus. „Bald, schon bald wird er persönlich kundtun, ob wir Terraner Gon-Orbhons Volk werden oder eben nicht. Dann wird unser Gott hier, an dieser Stelle, beim Tempel der Degression, in eigener Gestalt vor uns treten und uns sein Urteil über Leben und Tod mitteilen. Dies wird der Tag der Verkündung sein - der fünfzehnte April 1333!"
Nun kannte der Jubel keine Grenzen mehr.
Der fünfzehnte ... Das ist in genau einem Monat! Babett verspürte eine gewisse Erleichterung.
Bis dahin kann allerhand passieren ...
Doch Carlosch Imberlock war noch lange nicht fertig. Der Knalleffekt sollte erst kommen
11.
Bis zum Tag der Verkündung, eröffnete der Prediger, würde die Kirche Gon-Os den Vesuv in eine Festung verwandeln, in eine Bastion des Glaubens. Zugleich wollten er und seine vierzehn Adjunkten eine repräsentative Stätte schaffen, eine Arena, die Platz für Millionen Pilger bieten sollte. Denn die Hänge des Vesuv würden zum Schauplatz gewaltiger Ereignisse werden. „Wortgeklingel", murmelte Picco verächtlich, während Imberlock eines seiner berüchtigten, elend langen Gebete anstimmte. „Findest du?", fragte Gertraudis, für ertrusische Verhältnisse vermutlich in Zimmerlautstärke.
Picco jedoch stammte von Plophos, und außerdem gewährte er gerade einem mehr als ausgewachsenem Kater Asyl.
Er schloss die Augen, weil sein Kopf zu zerspringen drohte. „Leiser", krächzte er. „Sauf nicht so viel", sagte Gertraudis mitleidlos, ohne die Stimme zu senken. „Bevor ein Unglück geschieht. Gestern hättest du Babett ums Haar ..."
„Ja, ja. Gestern wird nicht wieder vorkommen. Ich höre auf, ich schwor's dir. Ich trinke keinen Tropfen Alk mehr."
Das meinte er ernst. Picco erkannte die Alarmzeichen ja selbst, er war schließlich kein Idiot.
Nur manchmal sehr einsam, und meine Freunde sind dann allesamt Flaschen.
Er wischte die trüben, vor Selbstmitleid triefenden, für Alkoholiker so typischen Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf das Gespräch mit Gertraudis. Picco schätzte die Schwerathletin sehr. Leider war sie als Frau absolut nicht seine Kragenweite. „Unser lieber Carlosch und seine Kirche", nahm er trotz des Pochens in seinen Schläfen den Faden wieder auf, „stehen mit ihrem >Neustart< vor beachtlichen strukturellen Problemen.
Ihre Bibel, das hochheilige Buch Gon, ist über Nacht wertlos geworden. Was da drin steht, stimmt von vorn bis hinten nicht mehr. Denn offenbar hat Orbhi eine Kehrtwendung vollzogen." .Früher war Imberlocks Doktrin die des Untergangs gewesen, der bedingungslosen Hingabe an den Tod.
Bring dich um, dann bist du aller Sorgen ledig! Picco hatte damit, nach mancher durchzechten Nacht, durchaus geliebäugelt.
Er schüttelte sich. „Ursprünglich hätten Gon-Os Jünger samt und sonders auf seinem Schlachtfeld den Löffel abgeben sollen. Jetzt heißt es auf einmal, dass ihnen möglicherweise das Leben geschenkt wird, ja dass alle Terraner Gon-Os Volk werden können."
„Du meinst, da
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