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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Ruck, daß er überaus schnell und klein zusammenfuhr. Er dehnte sich aber hierauf sofort zur riesenhaften Größe aus und donnerte mich an:
    „Was fällt dir ein! Diese Hand gehört mir, denn du bist mein Eigentum! Gib sie augenblicklich wieder her!“
    Ich wußte, daß jetzt der Kampf zwischen mir und ihm beginnen werde. Und die anwesenden Sillan ahnten das wohl auch. Sie drängten sich herbei. Ich schob sie auseinander, um zur nächsten Nische zu gelangen, ergriff die dort brennende Fackel und drehte mich dann mit ihr nach ihnen um. Was geschah? Sie verschwanden. Sie versteckten sich hinter ihre aufgehäuften Waren; sie waren eben Schatten, die, bei Licht betrachtet, hinter ihre Gegenstände gehören. Nur der eine blieb. Er allein hatte Mut, nämlich meinen Mut, von mir in seine wesenlose Schwammigkeit hinübergesaugt. Wir standen, beide hoch aufgerichtet, voreinander. Er schaute mir mit einem vernichtend sein sollenden Blick in die Augen; ich ihm ebenso! Jetzt galt es, Wahrheit gegen Lüge, Person gegen Schatten, Individualität gegen Scheinmenschlichkeit, Licht gegen Finsternis!
    Ich sprach kein Wort, er auch nicht. Ich wollte nicht, und er konnte nicht. Ich sah ihn fest und unverwandt an und zuckte mit keiner Wimper. Er wollte diesem Blick standhalten, mußte aber bald die Augen senken. Ich stand still, fest, unbewegt; er begann zu wanken, zu zittern, endlich gar zu flackern wie die Flamme meiner Fackel. Dann wurde er kleiner, immer kleiner, sank nieder, bis er auf dem Boden lag und kroch da langsam an mir vorüber, um nach hinten zu kommen. Und als er da so vor mir bebte und sich so ängstlich vor mir wand, da fühlte ich, daß die mir gestohlene Kraft und Energie zurückkehrte, bis er nicht mehr eine Spur von ihr besaß und in seiner ganzen Ohnmacht hinter mir am Boden lag. Da drehte ich mich zu ihm um, die Fackel in der Rechten. Er floh zur linken Seite, nach der Wand, und versuchte, sich an dieser aufzurichten. Als ich hinüberschaute, wandte auch er das Gesicht. Denn ein wahrhaftiger und ehrlicher Mensch hat es noch nie erlebt, daß so ein entlarvter Lügner und Betrüger es wagte, ihn offen anzusehen. Diesen Mut besitzt er nur dann, wenn es ihm gelungen ist, sich durch den Diebstahl fremder Charakterhaftigkeit das Ansehen zu geben, daß er auch eine Art von Person und nicht bloß nur ein nichtiger, bedeutungsloser Schatten sei!
    Das war der Sieg in aller Stille, ohne jeden Zorn und ohne alle Worte! Und da nun auch dieser Schatten überwunden war, begann ich den Rundgang durch die Gewölbe von neuem, um besser und tiefer zu sehen, als ich vorher gesehen hatte. Ich war allein. Es getraute sich nichts mehr an mich heran. Wo ich mit meiner Leuchte erschien, verkroch sich jeder Schatten augenblicklich. Der meinige schlich zwar beständig hinter mir her, wagte aber nicht, sich wieder zu erheben.
    Bei diesem meinem zweiten Rundgang bemerkte ich, wenn nicht zu meinem Schrecken, so doch zu meiner Überraschung, daß die Tür, in welche die Treppe eingemündet hatte, nicht mehr vorhanden war. Ich wußte die betreffende Stelle ganz genau. Die Gegenstände, welche ich bei meinem Eintritt zuerst gesehen hatte, standen und lagen alle noch an ihrem Ort. Aber anstatt der Tür gab es jetzt nur Mauer, starke, dicke, undurchdringliche Mauer! Ich suchte darum mit allem Fleiß nach einem zweiten Ausgang, fand aber keinen andern als nur den am Südende dieses Baus. Auch dieser führte zum jähen Sturz hinunter in das Bassin. Er war weder vermauert noch verschüttet, sondern bestand aus einer hölzernen, unverschlossenen und unverriegelten Tür, welche durch einen leisen Druck geöffnet werden konnte. Das sah so unschuldig aus, ganz genau so, als ob sie in ein weiteres Gemach oder Gewölbe führe; aber wehe dem, der diesem Betrug traute! Ich öffnete sie und leuchtete hinaus. Gleich hinter der Schwelle hörte der Fußboden auf. Der Abgrund gähnte aus dem tiefen Wasser herauf, und eine kalte, feuchte Luft roch nach Verwesungsgasen.
    Ich machte wieder zu und wandte mich zurück. Wie hatte der Warnende draußen vor dem Bau gesagt? „Die Starken sah ich niemals wiederkehren!“ Ja, sie hatten zwar widerstanden, waren aber nicht auf den Gedanken gekommen, nach einer Fackel zu greifen, um die Schatten von sich abzuweisen. Nach einem Ausgang suchend, waren sie von ihnen zu dieser Tür gewiesen worden und hierauf ahnungslos hinabgestürzt.
    Ich dachte an die verkalkten Leichen auf dem Grund des Bassins, welche grad unter dieser Tür

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