23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
im tiefen Wasser lagen, da hörte ich Schritte, welche vom andern Ende des Gewölbes kamen, und als der Betreffende in den Scheinkreis meiner schon fast ganz herabgebrannten Fackel trat, erkannte ich ihn sofort. Er war der Lauscher mit dem weißen Haar und den Dolchaugen, der mich in der vorigen Etage von dem Schritthaufen aus beobachtet hatte. Hinter ihm eine so große und so dicht zusammengedrängte Menge von Schatten, daß sie gar nicht einzeln unterschieden werden konnten, sondern zusammen eine kompakte Finsternis bildeten. In meine Nähe gekommen, blieb er stehen und rief mich an:
„Was will der Ustad hier in meinem Reich? Der größte Feind, den ich auf dieser Erde habe! Du suchst nach einer Tür, mir wieder zu entschlüpfen! Für dich, der mich vernichten will, gibt's keine!“
Er trat noch mehrere Schritte auf mich zu. Indem er dies tat, wurde er höher und immer höher. Nun überragte er mich um Kopfeslänge und auch um eine ganze Schulterbreite. Seine Stimme klang fest, stark, keinen Widerspruch erwartend. Ich sah ihm ruhig in die stechenden Augen, denn es galt hier einen zweiten, aber anderen Kampf, und wer siegen will, muß ruhigbleiben können.
„Es wurde dir gesagt, daß ich dich sprechen wolle“, fuhr er fort. „Es sei dir hier die Audienz gestattet. Nun sag um welche Gunst du mich zu bitten hast!“
„Ich höre, daß ich mich im Schattenreich befinde“, antwortete ich. „Es sei die Wahrheit noch so sonnenklar, der Schatten wendet sie gewiß zur Lüge! Mir fiel es nicht im tiefsten Traum ein, mit dir auch nur das kleinste Wort zu sprechen. Du aber ließest mir durch eines deiner Nichtse sagen, daß du den Wunsch besäßest, mich zu sprechen. Wer ist es nun, der Audienz erteilt? Wer ist der Wünschende, und wer ist der Gewährende? Und eine Gunst? Von dir? Für mich? Du bist verrückt! Doch wird es mir vielleicht ergötzlich sein, zu hören, was die Narrheit von mir fordert. Drum sprich!“
Täuschte ich mich, oder war es wirklich so? Seine Höhe nahm wieder ab, auch seine Breite. Und seine Stimme klang nicht so voll und so gebieterisch wie vorher, als er jetzt erwiderte:
„Du sprichst ja ungeheuer stolz, Ustad! Doch werde ich dich schnell zur Demut bringen. Du bist der erste nicht und sicherlich auch nicht der letzte! Ich weiß es, was geschah, als du den Berg betratest, das Reich des Zauberers, des Schwachheitshassenden zu sehen. Man warnte dich. Man sagte dir, daß du nur zwischen Schatten oder Tod zu wählen habest. Du kamst trotz alledem. Nun bist du mir verfallen. Nun wähle!“
„Wählen?“ fragte ich. „Wer kann es wagen, mich vor eine Wahl zu stellen, die mir von dem, was mir beliebt, nichts bietet! Gibt es hier eine Wahl, so lautet sie: Du oder ich; nichts weiter. Natürlich wähl ich mich!“
Da trat er mir wieder einen Schritt näher und fragte mich in giftig zischendem Ton:
„Nicht Schatten willst du sein? Der Schatten von mir, der ich der Herr und Meister bin, dem keiner widersteht?“
„Versuch es doch, ob ich nicht widerstehe!“
„So bleibt dir nur der Tod!“
„Der eine deiner größten Lügen ist!“ lachte ich. „Mit diesem Tod konntest du nur jene schwachen Köpfe schrecken, die nicht erkannten, daß er nur ein Hirngespinst zu ihrer Knechtung sei. Indem sie ihren Leib vor dieser Vogelscheuche retten wollten, verfielen sie dem Geist- und Seelenmord. Zeig mir doch diesen Tod, den lächerlichen Schatten, den nur das Leben der Betrogenen wirft, weil ihm das falsche Licht der Lüge leuchtet!“
„Du hast ihn schon gesehen!“ rief er aus. „Ich stand von weitem, als du öffnetest und ihm ins kalte, feuchte Antlitz schautest. Wagst du vielleicht, es noch einmal zu tun?“
Da riß ich die Tür auf, zeigte hinaus und sagte:
„Geh doch voran, zu zeigen, wo er steht! Hast du den Mut? Ich laß nicht auf mich warten!“
Es stieg bei diesen Worten in mir ein Entschluß auf. Woher er kam? Ich weiß es nicht. Wohin er führte? Hier durch diese Tür. Ich fühlte, daß seine Kühnheit mir die Wangen rötete und meine Augen leuchten ließ. Und während ich dies empfand, kam mir im Traum das Bewußtsein, daß ich träume und daß ich ich und nicht der Ustad sei. Sonderbar! Auch in den Zügen meines Gegners ging eine sichtbare Veränderung vor. Er sah mich starren Blickes an, erst überrascht, dann verwundert, staunend, endlich gar betroffen. War es ein Weh- oder ein Jubelruf, den ich hierauf von seinen Lippen hörte:
„Ustad, Ustad – – – was ist mit
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