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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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dir?! – – – Dein Gesicht wird ein ganz anderes! – – – Du bist nicht mehr der Ustad, nein, nein – nein! – – – Wer aber bist du denn? Etwa der fremde Effendi, der jetzt bei ihm im hohen Haus wohnt und unten im Birs Nimrud verwegen in die Tiefe stieg um ihr Geheimnis an das Licht zu bringen?“
    „Ja, der bin ich“, antwortete ich. „Doch träumte ich bisher, daß ich der Ustad sei.“
    Da sprang er auf mich zu, faßte mich am Arme, schüttelte mich und schrie:
    „Du träumst, du träumst und bist ein anderer! Was soll geschehen; was habe ich zu tun! Ich weiß es nicht; ich weiß es wahrlich nicht! Wach auf; wach auf! Ich öffne dir sofort des Berges Tore! Du sollst nicht Schatten sein und auch nicht sterben! Nur eile fort von hier! Ich selbst will dich hinaus ins Freie lassen, damit dein Traum ein frohes Ende nimmt und du zu deinem Körper wiederkehrst, damit er jetzt erwache!“
    Da schob ich ihn von mir, sah ihm ruhig in das erregte Angesicht und entgegnete:
    „Dieser Körper ruht in Frieden. Er mag weiterschlafen! Warum soll ich nicht vollenden, was ich begonnen habe? Ich bleibe hier! Grad deine Angst zeigt mir, daß ich es bin, der hier Audienz erteilt! Ich fordre jetzt von dir, daß du erfüllst, was du mir drohtest: Mach mich zum Schatten, oder töte mich! Tu das, was du von beiden fertig bringst!“
    Da zog sich seine Gestalt noch weiter zusammen. Doch versuchte er, seiner Stimme die alte Kraft zu geben, als er mir versicherte:
    „Wenn du hierauf bestehst, so bist du verloren, denn ich habe die Macht, beides wahr zu machen! Indem ich dir folgte, ließ ich sämtliche Fackeln hinter dir auslöschen und verbergen. Du hast die einzige in deiner Hand, und sie ist nur noch ein kleiner Stumpf, der kaum noch einige Minuten brennen wird. Dann kannst du meine Schatten nicht mehr scheuchen. Sie drängen sich an dich und nehmen dir den Willen und die Kraft, bis du das bist, was du nicht werden willst: mein Sill!“
    „Wer kann mich zwingen! Verlöscht das Licht, so steht die Tür hier offen!“
    „Doch draußen auch der Tod!“
    „Deine Scheuche! Mich aber schreckt er nicht!“
    Was war denn das? Es ging jetzt wie ein frohes, verklärtes Staunen über sein Gesicht. Und doch klang es wie Angst, als er mich aufforderte:
    „Du bist also entschlossen, zu sterben, Effendi! So fordere ich dich auf, dich vorzubereiten. Du stehst vor deinem letzten Augenblick und hast dich dem Gebet zuzuwenden. Falte also deine Hände, und sprich nach, was ich dir vorzubeten habe!“
    Er legte die seinigen zusammen und sah mich an, als ob er ganz bestimmt erwarte, daß ich diesem seinem Beispiel folgen werde. Ich aber sprach:
    „Meinst du, daß ich dich brauche, dich, dich, wenn ich zu beten habe? Für mich ist das Gebet von göttlicher Natur, und darum ist das rechte, wahre Beten wenn nicht die allergrößte, so doch die schwerste und die heiligste der Künste. Hier aber sah ich nichts als Trug und Fälschung und darum glaube ich, daß du sogar betrügst, indem du betest!“
    Da ballte er die Fäuste wie zum Kampf und schrie mich an:
    „So stirb in deinen Sünden und fahr hin zur Hölle!“
    Er holte aus und schnellte sich mit aller Kraft auf mich, um mich hinabzustürzen, der ich in fast unmittelbarer Nähe der Tür stand. Ich aber wich blitzschnell zur Seite. Die Gewalt des Sprungs trieb ihn also, anstatt mich zu treffen, in die Türöffnung hinein. Er brüllte vor Schreck laut auf und faßte hüben und drüben an, um sich zu halten. Aber schon stieß ich ihm die Faust vor die Brust, daß er Kopf über in die bodenlose Tiefe stürzte. Und die Fackel, die kaum mehr flackerte warf ich ihm nach. Von unten klang ein Schrei und dann ein dumpfer Schlag. Vor mir die tiefste Finsternis und hinter mir das Grausen aller Schatten! Ich trat auf die Schwelle. Ein einziges Wort, ein allereinziges, klang betend in mir auf. Dann schnellte ich mich, um nicht am Gemäuer anzuschlagen, mit weitem Sprung hinaus in das, was mir als ‚Tod‘ bezeichnet worden war.
    Die Beine zusammenhaltend, die Arme angezogen und die Augen geschlossen, fuhr ich in eine Eiseskälte, die mich sofort erstarren machen wollte. Aber sie hatte auch noch eine zweite Wirkung: Es war mir, als ob ich in eine Flut der Kraft, des Lebens tauche, die nur im ersten Augenblick erschrecke, dann aber grad das Gegenteil von der Erstarrung bewirke. Der Sprung war hoch gewesen, so hoch, daß ich bis auf den Boden des Wassers niederkam, zu den Verkalkten, die da

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