23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
spreche schon mit deinen Worten. Vielleicht geschieht es noch, daß wir nach diesen Worten handeln. Kennst du die Sage vom verzauberten Gebet?“
„Nein“, antwortete ich.
„Nicht! So dürfen wir dir um so mehr vertrauen! Der letzten einer, welche zu uns kamen, herabgestürzt wie wir, durch eigne Schuld, war vorher drüben in dem Land gewesen, wo seit fast ungezählten, vielen Jahren ein wunderbarer Geist in tiefer Höhle wohnt. Man nennt ihn darum Ruh 'i kulyan, doch, steigt er einmal zu den Menschen nieder, so naht er sich in weiblicher Gestalt, trägt weißes Haar, fast bis zur Erde nieder, und führt den Namen Marah Durimeh. Er traf auf sie in ärmlich kleiner Hütte und sprach mit ihr vom großen Menschheitsweh. Doch war ihm ihre Rede nicht begreiflich, denn was sie sagte, klang so wirr, so falsch, daß er sehr bald sich ärgerlich entfernte, vollständig überzeugt, daß er mit einem alten, verrückten Weib gesprochen habe. Als aber er am nächsten Tag erfuhr, daß ihm das seltene Glück beschieden sei, den Ruh 'i kulyan gesehen zu haben, erschien ihm jedes Wort in anderem Licht. Er dachte nach, und wie er weiterdachte und das, was sie gesagt, sich wiederholte, stieg in ihm mehr und mehr die Ahnung auf, daß er im Irrtum sei, nicht aber sie. Sie gab ihm, als er ging die Sage vom verzauberten Gebet auf den Weg. Doch er, der sich für klug und weise hielt, warf sie von sich, als lächerliches Märchen. Erst hier, im allertiefsten Erdenweh, stieg diese Sage wieder in ihm auf, und als wir einst hier an dem Bild schafften, erzählte er von jenem andern Bild und von der Greisin Marah Durimeh. Das war für uns der erste Mondestag nach welchem wir, still hoffend, schlafen gingen. Was wir bisher für ganz undenkbar hielten, das war nach dieser Sage Möglichkeit! Doch schwer, unendlich schwer, weil nicht an eine, nein, an soviel Bedingungen geknüpft, daß sie ein Mensch fast nicht erfüllen konnte. Denn merke wohl, ein Mensch war vorgeschrieben, ein einziger, der aber alles tat! Und ohne Ahnung hatte er zu handeln, genau wie du, der nichts von allem weiß!“
Wie sonderbar! Das klang ja wie ein Märchen!
„Hab ich denn schon bereits etwas getan, was in der Sage vorgeschrieben ist?“ fragte ich.
„Du kamst nicht, um die Schatten zu vernichten. Du hieltest jenem Zauberer fest Stand. Du schenktest dem Gebet vollen Glauben. Du hattest vor dem Tod keine Angst. Du sprangst aus freier Absicht in die Tiefe. Das Übrige muß noch verschwiegen bleiben, weil du ja ohne Wissen handeln mußt. Doch sag uns jetzt das eine, furchtbar eine, vor dem wir beben, sei es ‚ja‘, sei es ‚nein‘! Wer stürzte diesen andern zu uns nieder, der noch kein Wort bisher gesprochen hat?“
„Ich. Er wollte mich hinaus ins Dunkle stoßen. Ich wich ihm aus und gab ihm einen Hieb, daß er es war, der zu euch niederflog.“
„Und dann?“
„Dann warf ich ihm den Stumpf der Fackel nach und folgte hinterher.“
„Warum, warum, warum sodann auch du?“ fragte er schnell und dringend.
„Um ihn vielleicht zu retten.“
„Zu retten! Ihn – ihn – – – ihn!“
Er warf den Knochenarm als Zeichen der Verwunderung empor und fragte dann fast schreiend:
„Wer ist er aber denn? Sag wer, wer, wer!“
„Wer, wer, wer!“ scholl es hinaus, daß alle Säulen dröhnten.
„Der Zauberer!“ antwortete ich.
„Der Zauberer!“ wiederholte das Skelett, und mit versinkender Stimme fügte er hinzu: „Also doch er, er, er!“
„Er – er – – er – – – er – – –“, verklang es hier im Bassin. Draußen aber war es still, unheimlich still!
Jetzt drehte sich das Skelett den Köpfen zu. Es ging ein hier oben bei mir unverstehbares Wispeln und Lispeln herüber und hinüber. Dann wendete es sich mir wieder zu und sagte:
„Ich weiß, du hattest uns noch viel zu sagen, um uns zu überzeugen, was wir waren, und daß wir durch Jahrtausende hindurch nur unserem Wahn und Hirngespinst dienten. Du hättest uns wohl niemals überführt; da kam die Sage Marah Durimehs und zeigte uns, was wir vorher nicht sahen. Nun muß ich dir gestehen: Du hast gesiegt, gesiegt, noch ehe du zu Ende bist! Soll ich es dir beweisen?“
„Nein. Ich kenne den Beweis.“
„Mensch! Du bist unheimlich!“
„Das glaube ich! ‚Erhabenen Geistern‘ wird es stets beklommen, wenn auch der Mensch einmal zu denken wagt, und können sie nicht auf Gedanken kommen, so wird dann gütigst er um Rat gefragt! Euer Beweis ist der Zauberer. Wenn er in
Weitere Kostenlose Bücher