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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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mehr zu hören war, und sprach dann weiter:
    „Doch wir zerstören nur, um zu erzeugen. Vernichten wir da draußen allen Trug so fordern wir in diesem Traum die Wahrheit. Sinkt dort der Fels zertrümmert in den Tod, so geben wir ihm hier Gestalt und Leben. Und an demselben Tag da drüben alles stürzt, wird hier das Wunder neu geboren werden, daß Steine schreien, wenn man Gott nicht hört! Ihr wißt es nicht, bei wem ihr Rettung suchtet. Es ist der Fluch, an dessen Fuß ihr hockt! Der Fluch, der hier so oft erklungen, daß er des Steines Seele werden mußte! Wir meißelten mit unsern Fingernägeln. Und von dem Blut derer, die bei dem Sturz zerschmetterten, bekam der Hintergrund die dunkle Farbe. Nun ist es bald vollbracht. Nur noch zwei Mondestage, den heut und dann noch einen, so sinkt der falsche Segen in die Nacht, und unser Fluch, die Wahrheit, tritt zutage! Doch fehlt uns noch das Wort für seinen Sockel, die Zeilen, welche droben sagen sollen, was wir dann nicht mehr selber sagen können, weil wir da draußen mit zerschmettert werden. Und diese Zeilen fordre ich von euch.“
    „Von uns?“ fragte ich. „Warum?“
    „Es wurde so beschlossen. Der letzte, der vor der Vollendung kommt, hat auch das Letzte für das Werk zu geben. Das ist die Schrift. Wer ist es von euch beiden?“
    „Hier mein Gefährte ging voran; ich folgte hinterher.“
    „So, also du! Was du bestimmst, wird auf den Sockel kommen. Doch höchstens nur vier Zeilen, keine mehr!“
    „Und wenn euch nicht gefällt, was ich bestimme?“
    „Es hat uns zu gefallen und muß genommen werden.“
    „Muß?“
    „Ja, muß! Jedoch bedenke eins: Die Seele dieses Bildes ist der Fluch; die Unterschrift wird ihm den Geist verleihen. Gibst du ihm einen Geist, der ihm die Seele stört, so wird das Werk ein Bild des Wahnsinns sein und du zwingst uns, von neuem zu beginnen. Hast du gehört? Und hast du auch verstanden?“
    „Beides.“
    „So sprich nun du!“
    Ich folgte dieser Aufforderung sehr gern, stand auf, lehnte mich, um nicht hinabzuschlüpfen, an die Figur des Beters und begann:
    „Heut ist der erste Tag des neuen Mondes, der Tag an dem er aus dem dunkeln Schatten der Erde tritt, um wieder ihr zu leuchten. Und dieser Tag, so hoffe ich, soll auch für euch das wiederbringen, was euch der Schatten dieser Erde nahm – der Sonne goldenes Licht!“
    Ich hatte so laut gesprochen wie er, und darum wurde das letzte meiner Worte auch hinausgetragen zu den morschen Säulen, an denen es auch ganz dieselbe Wirkung hervorbrachte, nur daß die glucksenden und klatschenden Geräusche der fallenden Steine dieses Mal viel, viel länger anhielten als vorher. Und hierauf ging statt jenes fauchenden Geklinges ein tiefes Rollen am Gewölbe hin, wie wenn am Horizont ein fernes Donnergrollen das Nahen schwerer Wetter uns verkündet.
    „Habt ihr's gehört?“ so fragte ich hinunter. „Wenn schon mein Wort um so viel stärker wirkt, um wieviel mehr wird erst die Kraft euch überlegen sein! Ihr selbst gestandet ein, daß euer Wort euch mit zerschmettern werde. Glaubt an das meinige, so werdet ihr von ihm hinaus zur Sonne und an das goldene Tageslicht geführt!“
    „An die Sonne? An das Tageslicht?“ fragte das Gerippe! „Niemals, niemals werden wir sie beide wiedersehen! Auch du nicht! In keiner Ewigkeit!“
    Er hauchte das verzweifelt vor sich hin.
    „In keiner Ewigkeit – – – in keiner Ewigkeit!“ so seufzte es ihm nach von Kopf zu Kopf.

„Was höre ich? Ihr gebt ja mir schon Licht!“ fuhr ich fort. „Um wieviel mehr kann ich nun euch es bringen! Nur die Verzweiflung war's, die euch zur Rache trieb. Das liegt in Sonnenklarheit hier vor meinen Augen! Die Hoffnungslosigkeit ließ euch den Fluch ersinnen! Du nanntest uns: ‚Ihr armen, armen Menschen‘; ich aber sag: Ihr armen, armen Geister! Ihr kamt zu diesem Berg mit Schatten euch zu streiten. Ihr nanntet Wahn, was ihr vernichten wolltet. Und doch war es ein noch viel größerer Wahn, der es für möglich hielt, daß es auf Erden Strahlung ohne Schatten und Wahrheit ohne Täuschung geben könnte! Ihr hättet alle Wesen töten und jedes Licht im All verlöschen müssen, und damit nur erreicht, daß dieses All in Finsternis versank. Dann freilich gab es keine Schatten mehr; an ihre Stelle war der eine, einzige, der ewige getreten! Und nicht bloß Wahn, nein, Wahnsinn ist's gewesen, und Wahnsinn ist es noch in diesem Augenblick, daß ihr den Schemen flucht, anstatt der eignen Torheit! Wer zwang euch

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