23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
von geschliffenen Perlen strahlte. Und in gewisser Höhe darüber erzitterte es von märchenzarten, orangebunten Wölkchen, in denen es von Liliputelektrizitäten beständig wetterleuchtete, bis sich die Luft von aller Finsternis gereinigt hatte und eine Schicht entstanden war, in der man endlich, endlich das, was sich in ihr bewegte, sehen konnte.
Und diese Schicht war es, die uns nach einiger Zeit erlaubte, zu bemerken, daß draußen im vorderen Bassin Wellenkreise geworfen wurden, welche unter der schwebenden Mauer hereinkamen und bis zu unserm Postament fluteten, an dem sie sich leicht kräuselnd brachen.
„Es beginnt!“ flüsterte der ‚Zauberer‘.
Das klang so ängstlich, und ich hörte, daß er sich wie nach innen schüttelte. War das nur die Folge seines Sturzes? Oder gab es außerdem noch andere, wohl innerliche Ursachen?
Die erwähnten Wellenlinien wurden enger und bewegter. Es kam etwas geschwommen. Wer oder was? Menschen auf keinen Fall! Gab es Tiere hier, größere Tiere? Denn nach dem Radius der geworfenen Kreise konnte es kein kleines sein! Da kam es – – – unter der Mauer hindurch – ein Totenkopf – zwei Schlüsselbeine – zwei halb im Wasser verschwindende Schulterblätter – zwei Knochenarme, welche nach beiden Seiten ausgriffen, um zu schwimmen – – – Ich kannte das: Es war das Gerippe von dem Säulenstein am zweiten Seitenkanal. Es kam bis fast an das Postament herangeschwommen, hielt da an, schaute zu uns herauf und sagte:
„Nicht bloß einer – – – sondern zwei?! Ihr armen, armen Menschen! Den Leib gerettet, wie ich einst den meinen – – – auf einen Stein, der kein Erbarmen kennt – – –! Doch nur für kurze Zeit, bis ihr verschmachtet, verfluchend niedersinkt und zum Skelett werdet, so wie ich!“
„Wer bist du?“ fragte ich ihn.
„Ich bin der erste Fluch, der hier erschallte. Und du?“
„Ich bin vielleicht, vielleicht der erste Segen.“
Da tat das Gerippe mit den entfleischten Armen einen Schlag auf das Wasser, daß es bis an die Lendenwirbel emportauchte, und rief aus:
„Verstehe ich dich recht? Du willst nicht fluchen, sondern segnen, segnen?“
Seine Stimme drang in das vordere Bassin hinaus. „Segnen – segnen – – segnen – – – segnen!“ ertönte es dort von Säule zu Säule, wie ein Befehl für die Toten, zu erwachen.
„Das wird sie wecken“, sagte er, „sie alle, alle, alle. Denn solches Wort ist hier noch nicht erklungen!“
Und sie kamen, viele, viele, viele! Unhörbar, vollständig unhörbar! Kopf an Kopf versammelten sie sich hinter ihm! Kopf an Kopf zog ihre Menge sich unter der Hängemauer in die Unsichtbarkeit hinaus. Wie mich das packte, so ungefähr muß es den letzten Menschen sein, wenn der Hammer aushebt, um die Stunde des Gerichtes zu schlagen. Segen oder Fluch? Seligkeit oder Verdammnis! Still war es, still. Keiner der Köpfe regte sich und keines der Wasser bewegte sich mehr. Nur der ‚Zauberer‘ hier oben bei mir bebte; denn alle, all die leeren Augenhöhlen waren starr herauf nach uns gerichtet. Und das Gerippe sprach:
„Heut ist der erste Tag des neuen Mondes, der Tag an dem wir stets aus unserm Schlaf erwachen, um zu vollenden, was wir einst beschlossen. Der Tag der Arbeit an dem Werk der Rache!“
Er gab dem letzten Wort einen solchen Nachdruck, daß der Schall desselben im vorderen Becken wie eine Brandung wirkte. „Rache – Rache – – Rache – – – Rache!“ wiederholte dort das Echo brüllend. Es folgte ihm ein lautes Knarren, Knattern, Knirschen, als ob der Fels vor dem Zerbersten stehe, und dann klang jener langgezogene, fauchend scharfe Ton, der warnend übers Eis erklingt, wenn Risse sich erzeugen.
„Habt ihr's gehört, wie mächtig schon das Wort an Säulen rüttelt?“ fragte er zu uns empor. „Wie müssen sie dann erst vor unsrer Kraft erzittern! Wir wuschen seit Jahrtausenden sie aus, zernagten ihre Stärke und kratzten an dem alten Gleichgewicht, bis von ihm nur so viel noch übrig war, daß es verschwinden wird, sobald wir wollen! Das ist die Hälfte unsers Werks, die Zerstörung!“
„Zerstörung – Zerstörung – – Zerstörung – – – Zerstörung!“ donnerte draußen der Widerhall, und das gefährliche Fauchen ging von neuem durch das zerbröckelnde Gestein der Decke. Denn daß sie bröckelte, hörten wir am Klang des Wassers, in welches die Bruchstücke fielen. Das Gerippe lauschte auf diese Geräusche, bis nichts
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