23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
nicht gelungen?“ fragte ich.
„Nein“, antwortete er, indem wir uns niedersetzten. „Wir lagen gut versteckt beim Holunderbaum. Da kam Ahriman Mirza mit noch einem. Wahrscheinlich war dies der Vertraute, den du in unseren Ruinen bei ihm gesehen hast, denn der Mirza hatte sich nicht vor ihm verhüllt. Sie sprachen miteinander, nicht lange und auch nicht laut, doch so, daß wir jedes Wort verstanden. Ahriman hatte die Reitpeitsche in der Hand. Er mußte erst kürzlich einmal hier gewesen sein, denn er nahm eine Larve aus dem hohlen Baum, die nicht drin gewesen ist, als Kara ihn untersuchte. Er band sie vor das Gesicht und zog dann eine Agraffe aus der Tasche seines Rockes, um sie an die Mütze zu stecken. Dabei sagte er:
‚Die habe ich noch von drüben, bei den Dschamikun. Ich fand keine Zeit, sie zu verstecken, weil ich wegen des Scheik ul Islam schnell um den Berg herum zu meinem Pferd mußte. Die hiesige kann also steckenbleiben, vielleicht für immer, denn ich glaube nicht, daß ich sie hier noch einmal brauchen werde. Heut mache ich es kurz. Die Befehle zur Umzingelung am Mittwoch Abend sind schnell gegeben. Dann gehe ich im ‚Utaq-y-Scheijtan‘ (Teufelsstube) noch einmal die beiden Dokumente durch, ehe ich dem Scheik ul Islam das seinige in der Dschema wiedergebe. Jetzt komm! Dieser Lieblingsesel Allahs ahnt gar nicht, daß er sich mit der Unterschrift der Kaiserurkunden vollständig in meine Hand geliefert hat!‘
Sie gingen, und wir krochen aus unserm Versteck hervor, um ihnen zu folgen. Da dies aber höchst leise und vorsichtig geschehen mußte, taten wir es nicht schnell genug und suchten dann vergeblich, eine Spur von ihnen zu sehen oder zu hören. Um wenigstens nicht ganz ohne Resultat zu dir zu kommen, kehrten wir zum Holunder zurück, aus dem wir die Agraffe genommen haben.“
„Warum? Wozu? Kann das nicht üble Folgen haben?“
„Möglich! Aber ich hatte das Gefühl, daß ich dieses Ding nicht steckenlassen dürfe. Ich kenne diese Empfindung; sie hat mich immer richtig geführt. Denk an unsere Anzüge, ohne welche wir von dem Boten jedenfalls nichts erfahren hätten!“
„So mag es sein. Auch ich folge derartigen Eingebungen stets gern. Ist dir der Name Utaq-y-Scheijtan bekannt?“
„Nein. Ich habe ihn noch nicht gehört. Aber ich habe jetzt unterwegs darüber nachgedacht und vermute, daß er hier mit dieser Mauer in Verbindung zu bringen sei. Der Name ‚Teufelsstube‘ harmoniert mit dem Aberglauben, daß der Teufel hier die von ihm geholten Seelen zerreiße. Sollte Ahriman Mirza mit diesem Utaq-y-Scheijtan den finsteren Raum dort gemeint haben, durch den wir mußten, um hierher zu kommen?“
„Mir kommt dies fast wahrscheinlich vor.“
„Mir ebenso! Er will da die beiden Kaiserdokumente noch einmal prüfen. ‚Kaiserurkunden‘! Also das Allerwichtigste, was man ihm entreißen könnte! Aber entreißen? Nein. Es müßte klüger angefangen werden. Bitte, sprecht jetzt nicht auf mich! Es kommt mir ein Gedanke. Könnte er richtig ausgeführt werden, so wäre er unvergleichlich!“
Er schwieg hierauf, um nachzudenken. Darum waren wir auch still. Nach einiger Zeit sprang er plötzlich auf und sagte:
„Was das nur ist? Es läßt mir keine Ruhe. Komm mit, Effendi! Ich muß vor an die Mauer. Es ist etwas in mir, was mir sagt, daß Ahriman Mirza bald erscheinen wird.“
Wir gingen miteinander nach vorn, bis zu der mit Büschen besetzten Tür. Wir schoben das Gesträuch mit den Händen zurück, um in den Raum zu treten. Da flüsterte der Ustad:
„Da – da – da, schau! Wie recht die Stimme in mir hatte! Siehst du ihn?“
Allerdings sah ich ihn. Er war soeben gekommen und stand draußen vor dem Eingang, im Sternenschein, um sich umzusehen. Die Reitpeitsche in der Hand, die schwarze Maske vor dem Gesicht, die Agraffe an der Mütze. In seinem Gürtel flimmerte der Griff seines Chandschar, welcher dem meinigen glich. Das war alles sehr deutlich zu sehen. Da fragte mich der Ustad leise:
„Kennst du die Sage vom Chodem des Menschen?“
„Ja“, antwortete ich ebenso leise.
„Ich weiß, daß der Mirza an diese Sage glaubt, und werde ihn bei ihr fassen. Halte die Büsche zurück, wenn ich zu ihm hineinschlüpfe und auch dann, wenn ich wiederkomme!“
Er nahm die Maske aus dem Peitschengriffe und band sie sich vor das Gesicht. Dann holte er die Agraffe aus der Blechkapsel und steckte sie an die Mütze. Hierauf steckte er auch meinen Chandschar genau so wie der Mirza den seinigen
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