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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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geschwungene Peitsche des Verfolgers. Diese Umstände sagten ihnen, daß es sich nicht um eine Wette, sondern um eine wirkliche Flucht handle. Sie schrieen einander zu, den Henker nicht etwa ausbrechen zu lassen. Und dieser Lärm machte den Fuchs scheu, nicht aber den anders gearteten Kiss.
    So kam es, daß der letztere dem ersteren immer näher rückte und ihn grad da einholte, wo es die einzige Möglichkeit gab, zwischen den Bergen hinauszukommen. Kara war klug. Er ritt an der äußeren Seite und hieb mit der Nilpferdpeitsche so auf den nackten Henker ein, daß dieser auf der innern bleiben mußte und also dem See immer wieder zugedrängt wurde. Es hagelte Hieb auf Hieb. Was dabei für Worte fielen, das erfuhren wir erst später. Der Henker bot Himmel und Hölle auf, Kara zu bewegen, ihn entkommen zu lassen, bekam aber als einzige Antwort nur Hiebe und immer nur Hiebe. So wurde er nach der andern Seite des Sees und dieser entlang gepeitscht und getrieben, uns wieder näher und immer näher, rund auf der Bahn, am Tempelweg vorbei, durch den Duar und endlich bis her zur Tribüne. Er war fast von Sinnen. Er schäumte. Da trieb Kara den Kiss noch einmal an, kam vor, entriß jenem den Zügel, gab einen Ruck, daß beide Pferde sich bäumten. Der Henker mußte herunter; Kara ihm nach, indem er rief:
    „Schuft, ich schlage dich tot, wenn du nicht antwortest. Ist Kiss ein Schund oder nicht?“
    Der Gefragte stand da, an allen Gliedern zitternd. Er brachte kein Wort hervor.
    „Schund oder reines, edles Blut?“ wiederholte Kara, indem er ihm die Peitsche über das Gesicht herüberstrich.
    „Kein Schund, kein Schund! Edles, reines Blut!“ klang da nun das Geständnis.
    „Von Euch zum Schund gelogen?“
    „Ja – – – gelogen!“ stammelte der Henker aus Angst vor der wieder drohenden Peitsche.
    „Das bittest du dem Ustad ab! Sofort, sofort!“
    Ein neuer Hieb sauste nieder.
    „Ja doch – – – ja doch – – – ich bitte; ich bitte!“
    Er faltete beide Hände und hob sie flehend empor. Was bildete er doch jetzt, hier unten, für eine ganz andere Figur als vorhin dort oben, wo er auf der schamlos angemaßten, hohen Stufe stand und wie eine unfehlbare Gottheit vom Himmel niederschmetterte! Tausende und Abertausende hatten gedacht, an ihn glauben zu müssen, weil sie Wunder meinten, was ein gefährlicher Multasim zu bedeuten habe, gegen dessen Rachsucht man keine Waffe besitze. Und nun kam hier ein ganz einfacher, junger Mensch und zeigte vor ebenso tausenden von Augen, wie es um die Wichtigkeit dieser Person eigentlich stehe: Nur der Stand hatte sie verhüllt; in ihrer jetzigen, entlarvten Blöße aber war sie weniger, viel weniger als – – – nichts!
    „So bin ich mit dir fertig. Marsch, fort, zu deinem Richter!“ sagte Kara, indem er ihn mit der Peitsche hin zum Hauptmann trieb, welcher ihn mit den Worten empfing:
    „Die Prügel hast du bekommen. Du holtest sie dir selbst. Nun geh zum Scheik ul Islam, deinem Beschützer! Der zieht dich wieder an, um den ‚Ehrenmann‘ von neuem herzustellen. Dann hängen wir dich auf. Der Mir Dschassab (Persischer Militärscharfrichter) steht schon bereit – der Henker für den Henker!“
    Das brachte eine seltsame Wirkung auf den Multasim hervor. Sein bisher angstverzerrtes Gesicht nahm einen ganz anderen Ausdruck an. Er kroch in sich zusammen und fragte:
    „Gehenkt? Gehenkt soll ich werden? Wirklich?“
    „Ja, und zwar sofort, damit ich Dschafar Mirza rette!“
    „So flüchte ich mich in den Schutz des Scheik ul Islam, der mich verteidigen muß, wenn er nicht selbst zugrunde gehen will. Ich würde alles verraten!“
    Er rannte hin zu ihm. Dieser aber streckte beide Hände abwehrend gegen ihn aus und rief:
    „Bleibe mir fern, du Unvorsichtiger! Warum hast du dich entlarven lassen! Wer nicht einmal das Alphabet der Sillan geheim zu halten weiß, der ist auch imstande, die Absichten des heiligen Islam an das Laientum zu verraten! Du bist ein abtrünniger Christ, so überhaupt Verräter gewesen, seit ich dich kenne. Nun drohst du auch mir mit Verrat. Hebe dich weg! Ich sehe mit Freuden dich hängen!“
    Da brüllte der Henker laut auf. Er trat, statt sich zu entfernen, ganz nahe an ihn heran, ballte die Fäuste und sprach, infolge seines nicht zu überwältigenden Grimms in die unbeschränkteste Offenheit verfallend:
    „Ja, du hast recht; ich bin ein Verräter, ein Verräter überhaupt! Ich habe nicht nur die Menschen verraten, sondern auch Gott und

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