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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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fliehend in der Menge der dastehenden Leute. Es gab nur wenige, die diese rasche, stille Flucht begriffen.
    Das geschah, als der Henker eben wieder aus dem Zelt gebracht wurde. Er war nur mit der Hose bekleidet, und man hatte ihm den Oberkörper und die Arme mit Öl eingerieben. Einer der Trabanten trug den Kleiderpack und das Messer hinter ihm her. Der Hauptmann befahl, diese Sachen zum Scheik ul Islam hinzubringen, und sagte diesem: „Du nahmst den ‚Ehrenmann‘ in deinen Schutz. Wir haben Mann und Ehre so genau getrennt, wie er es tat, um Henkersknecht zu werden. Der Mann entfloh; die Ehre aber ließ er weislich liegen. Wir hoben sie ihm auf, weil wir ja wußten, daß er wiederkäme. Nun ist er da, und abermals als Henker, mit Öl gesalbt, ein schlüpfriger Gesell! Ich lasse ihn jetzt peitschen, vor aller derer Augen, vor deren Ohren er die hochberühmte Rede hielt, die du mit deinem Ssyhaßyh belohntest. Heb ihm inzwischen seine Ehre auf, da er dein Schützling ist. Hat dann der Mann die Hiebe überstanden, so ziehe ihm die Ehre wieder an, und gibt den Taki ihren Ustad wieder!“
    Der Scheik ul Islam sagte kein Wort, als ihm die Sachen hingelegt wurden. Er wäre wohl wie gern fortgegangen, mußte aber bleiben, weil seine Entfernung ihn ja erst recht blamiert hätte. Auch der Henker war still. Er stand zwischen zwei Trabanten, mit zusammengepreßten Zähnen und funkelnden Augen, deren Blick vergeblich nach Hilfe suchte. Da geschah etwas, was ihm Gelegenheit zur Flucht zu bieten schien. Er hatte wahrscheinlich schon daran gedacht, sich ganz unerwartet auf sein Pferd zu werfen und davon zu reiten; aber dieses hing ja mit dem ‚Schundroman‘ zusammen, und ehe es ihm gelungen wäre, die lange Leine zu lösen, hätte man ihn wieder festgehabt. Da stand nun jetzt der gute, mitleidige Kara Ben Halef von seinem Platz auf und begab sich nach vorn, um nach den Gebrechen des armen Tieres zu sehen. Er untersuchte zunächst die Druckwunden und dann die bepflasterten Stellen.
    „Das ist ja alles Lüge!“ rief er endlich aus, nachdem der Ausdruck seines Gesichts immer erstaunter geworden war. „Es ist eine gradezu bodenlose, abgrundtiefe Albernheit, uns diesen ‚Kiss‘ als ‚Darr‘, uns diesen ‚Roman‘ als ‚Schund‘ vorzuführen! Der einzige Schund an diesem zwar alten, aber sonst ganz vortrefflichen Pferd sind die betrügerischen Pflaster, diese frech aufgeklebten Behauptungen, unter den man vergeblich nach gültigen Beweisen sucht. Wäre es nicht so wund geritten, so setzte ich mich jetzt auf, um zu zeigen, daß – – –“
    „Zeige es doch, zeige es!“ unterbrach ihn da der Henker. „Deine Dummheit macht mich frei!“
    Kara hatte nämlich während seiner Untersuchung des Pferdes die Leine gelöst. Nun sprang der Gefangene zwischen den Trabanten hervor, schwang sich auf seinen Fuchs und jagte davon, auf der Bahn dahin, die für das Rennen vollständig frei lag. Jedermann sprang auf, und fast auch jedermann schrie. Kara aber war nicht im geringsten verblüfft. Die Karbatsch seines Vaters noch von vorhin in der Hand, schnellte er sich sofort auf den sattellosen Kiss und rief: „Ich bin schuld; darum bringe ich ihn auch wieder!“
    Ein scharfes, aufforderndes „Chchchchchhhhh“ trieb das Pferd vorwärts. – – – Das erste Rennen begann, aber freilich ein ganz anderes, als wir vermutet hatten.
    Nur diejenigen, welche sich in Hörweite von der Tribüne befanden, wußten, um was es sich handelte, die vielen, vielen anderen aber nicht. Sie hielten die ganze Bahn rund um den See besetzt und drängten sich nur noch enger und dichter zusammen, als sie die beiden Reiter kommen sahen, voran der Henker, für den es erst an dem Ende des Sees eine Aussicht gab, durch die Menschen zu brechen und dann nach einem der Pässe zu entkommen. Hinter ihm Kara, der dies sehr wohl erkannte und sich darum bemühte, ihn vorher einzuholen. Der langbeinige Turkmene griff weite Sätze; der kleinere zierlichere Kiss aber ging trotz seines Alters leichter und schneller. Hierzu kam ein Umstand, an den der Henker nicht gedacht hatte; er schleppte nämlich die lange Leine nach, und da diese am Ring des Brustschildes festgebunden war, konnte er sich ihrer nicht entledigen. Sie kam dem Fuchs wiederholt zwischen die Beine. Das störte ihn. Er wurde vorsichtig, dann gar bedenklich. Auch die Zuschauer machten ihn irr. Diese sahen, daß der Reiter halb nackt war. Sie sahen ebenso den sonderbaren Aufzug des Kiss und die drohend

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