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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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mich selbst. Ich verriet meinen christlichen Glauben. Ich täuschte sodann den Beherrscher. Ich betrog den Fürsten der Schatten. Ich täuschte auch dich, genauso, wie du selbst täuschst. Aber einmal lüge ich nicht, nämlich jetzt, wenn ich öffentlich beichte! Soll ich gehangen werden, so hänge man gleich zwei! Die dritte und den vierten wird man wohl laufen lassen. Dir aber knüpfe ich die wohlverdiente Schlinge!“
    Er wendete sich von ihm ab, zu uns, richtete sich hoch auf und wollte sprechen. Da griff der Scheik ul Islam nach den vor ihm liegenden Kleidungsstücken, bei denen auch das Messer des Henkers lag, faßte es, zückte es gegen ihn und drohte:
    „Schweig, Wahnsinniger, sonst stirbst du an deiner eigenen Klinge!“
    „Ob Strick oder Klinge, das ist nun alles gleich; aber ich spreche!“ entgegnete der Multasim, schnell zugreifend, um sich zu wehren.
    „Dann fahre hin, und rede in der Hölle, aber nicht hier!“
    Im nächsten Augenblick hatten sie sich gefaßt. Die Khanum Gul schrie vor Entsetzen auf, gab Raum und eilte fort. Niemand schaute ihr nach, denn aller Augen waren auf die beiden Kämpfenden gerichtet, welche einander niederzerrten und dann unter den Sitzen weiterrangen, still, lautlos, wie zwei ineinander verbissene, wilde Tiere.
    Da plötzlich gab es einen Blitz und hoch über uns einen lauten Krach. Der Donner rollte. Unsere ganze Aufmerksamkeit war so ausschließlich hier unten festgehalten worden, daß wir die schweren Wetterwolken gar nicht beachtet hatten, welche hinter dem Ruinenberg aufgestiegen waren und nun über dem Alabasterzelt drohend kulminierten. Wir kannten diese Art von Wetter, welche sich in jenen Bergen ganz unerwartet zusammenziehen und alle Gewalt der Elemente entfesselt zu haben scheinen. Darum wußten wir sogleich, daß wir auf unser lustiges Vorrennen wenn nicht ganz, so doch für jetzt zu verzichten hatten. Es fielen schon gleich einzelne schwere, erbsengroße Regentropfen.
    Da war der Kampf auf Leben und Tod zu Ende. Der Scheik ul Islam kam unter den Sitzen hervorgekrochen und richtete sich auf, ganz ermattet, langsam, blutend. Er sah sich mit stierem Blick im Kreis um und rief mit heiserer Stimme:
    „Es kam so, wie ich sagte: Er ist zur Hölle gegangen. Dort mag er reden, was er will, so wird es doch nichts schaden. Die Teufel glauben nicht so schnell wie die Menschen! Ich bin verwundet. Bringt mich nach meinem Zelt!“
    Einige Taki eilten hinzu, um ihm zu helfen. Man zog den Multasim hervor. Er war tot. Das Messer steckte bis an den Griff in seiner nackten Brust. Da blitzte und krachte es abermals, und der Regen begann in einer solchen Weise sich zu ergießen, daß ich schleunigst nach dem Zelt Agha Sibils eilte, wo ich, der längst Erwartete, von meinem alten Bagdader Freund und all den Seinen mit herzlicher Freude aufgenommen wurde.
    Mein erstes war, gute Plätze für Halef, Hanneh und Kara zu reservieren, welche natürlich nicht auf sich warten ließen, und dann geschah der Freundschaft und der Vergangenheit ihr Recht, mochte es draußen gießen oder strömen und hier innen tropfen oder träufeln, wie es wollte. Auch Kepek wurde erwähnt. Man hatte ihn wegen seiner unbehilflichen Körperfülle so schnell wie möglich als Fracht nach Isfahan gesandt, wo sein Herr sich für die Zukunft mit ihm niederlassen wollte. Die ‚Festjungfrau‘ war als lebenslängliche Köchin in Aussicht genommen, und Tifl hatte dabei als Pendant zu Kepek tüchtig mitzuessen.
    Der Regen währte ausnahmsweise stundenlang. Als er einmal eine Pause machte, schickte Schakara für mich und Kara Pferde, für Halef und Hanneh aber eine Doppelsänfte, mit deren Hilfe wir schnell nach Hause kamen. Der Ustad folgte erst später. Wie umsichtig Schakara war, bewies sie jetzt auch wieder dadurch, daß sie unsere Pferde aus dem schweren Regen in das bereits wohlbekannte Gewölbe gerettet hatte.
    Der Ustad kam mit Dschafar Mirza, eben als das zurückgekehrte Gewitter mit einer zweiten, noch längeren Entladung einsetzte. Sie hatten im Haus des Chodj-y-Dschuna ein bequemes Unterkommen gefunden und von dort aus alles beobachtet und nach Kräften dirigiert. Sie nahmen den von dem Unwetter angerichteten Wirrwarr nicht von der tragischen, sondern von der komischen Seite, und so fiel es auch mir nicht ein, mir um irgend etwas betrübte Gedanken zu machen. Als ich nach der Leiche des Henkers fragte, erfuhr ich, daß man sie nach den Ruinen geschafft und dort dem Scheik ul Islam vor das Zelt gelegt habe.

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