23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
Das ist so ganz, so recht die Weise dieser Leute, die ich zwar nur als Massaban, als ‚Unglückselige‘ bezeichnen lasse, weil ich auch noch im Feind den Menschen sehe, doch dürften auf sie wohl auch noch ganz andre Namen passen, die weniger als dieser den Klang der milden Nachsicht haben! – – – Es war kein leichtes Werk, ihr einstiges Gebiet von ihnen ganz zu säubern. Sie gaben es ja nicht freiwillig auf. Wir hatten schwere Kämpfe zu bestehen. Und als sie mit Gewalt nichts mehr erreichen konnten, da griffen sie zur List. Ich bin nie den Gedanken losgeworden, daß hier in den Ruinen noch etwas steckt, wovon sie angezogen werden. Vielleicht so etwas Ähnliches wie unten im Birs Nimrud, was dort von euch gefunden und an das Tageslicht gezogen wurde. Wir haben noch nach langer Zeit die Spuren fremder Füße im alten Bau gesehen, und noch bis in die Gegenwart kam es zuweilen vor, daß sich hier Leute niederlassen wollten, die ich nach stiller Prüfung wieder gehen hieß. Es waren auch Verwandte von einigen der Dschamikun dabei, die mir es, wie es scheint, nicht ganz vergessen können, daß ich den fremden Anhang nicht geduldet habe. Und das wird es wohl sein, was der Peder mit der Bemerkung meinte, daß auch bei uns nicht lauter Licht vorhanden sei.“
Als er dieses sein Geständnis ausgesprochen hatte, knüpfte ich schnell an dasselbe an:
„Was du jetzt gesagt hast, führt mich auf die Frage zurück: Was will der Mirza eigentlich hier? Warum ist ihm grad diese Gegend so wichtig daß er alle seine sonstige Vorsicht vernachlässigt, nur um den früheren Einfluß wiederzugewinnen?“
„Ich weiß es nicht. Kannst du es dir wohl denken? Vermuten kann ich auch, doch klarzusehen ist mir noch nicht möglich.“
„Vergegenwärtige dir seine Reden! Er hat uns ja in Dreistigkeit sein bisher stets verschwiegenes Programm entwickelt. Daß er, der Schlaue, heut zu dieser Dummheit förmlich hingerissen wurde, das muß uns doch verraten, wieviel für ihn hier auf dem Spiel steht! Ihm widerstrebt die geistige und sittliche Kultur. Wo sie erblüht, hat er die Macht verloren. Er muß den Stumpfsinn pflegen, der weder sieht noch hört, und mit ihm jene Unzufriedenheit, die stets nach Hilfe schreit, weil sie zu faul und unerfahren ist, sich selbst zu helfen. Er muß den wahren, unverfälschten Gottesglauben töten, der Kraft und Mut zum Lebenskampf verleiht, dagegen aber jene Schwachkopf-Frömmigkeit beschützen, die jeden, der sie an den Wangen streichelt, sofort für einen Engel ihres Himmels hält. Da darf es auf der Erde keinen Frühling geben, der alles, was veraltet, von den Fluren fegt. Der Staub hat meterdick auf Stadt und Land zu liegen, und wo ein Wasser fließt, da muß es trüb und schleichend sein! Dann kommen jene nächtlichen Gespenster, die alles, doch nur keine Geister sind. Sie flattern überall, mit leisem Vampirflügelschlag. Und wo sie sich aufs Volk herniederlassen, da saugen sie ihm bald die vollen Adern leer. Dann sieht man nicht mehr frohe Menschenkinder, die sich in Gottes reinem Licht sonnen. Der Blick fällt nur auf geistige Mummelgreise, und alles ringsum wird zum – – – Schattenland!“
„So war es hier; so war es, wie du sagst!“ stimmte der Ustad bei. „Es war die Geisteswüste, genau wie jenes Paradies, von dem ich dir erzählte, ein flaches, ödes, wüstes Schemenland! Der Stumpfsinn kroch im tiefen Bodenstaube. Der Groll schlich zähneknirschend nachts umher. Der arbeitsscheue Müßiggang schlug frömmelnd sich die Brust und schnappte gierig nach der Dummheit Brocken. Stumm lag der ausgenutzte Fleiß in dürrem Sand. Und über diesen und noch tausend anderen Schatten gab es ein unhörbares Flattern dunkler Flederhäuter, für welche du den rechten Namen, Vampir, hattest. – So, so war es um die Bewohner dieses traurigen Gebietes und also auch um meine jetzigen Dschamikun beschaffen, als ich zu ihnen kam. Ich hatte zwar schon oft von ‚Menschheitsjammer‘ sprechen gehört und manches ‚Erdenleid‘ an andern und auch an mir selbst erfahren, doch daß dies Elend nicht von dem Geschick bestimmt, sondern nur der Sauggier dieser Flügelhäuter zuzuschreiben sei, das war mir völlig unbekannt gewesen. Ich fragte mich, ob wohl noch Hilfe möglich sei. Wenn ich die unzählbaren Scharen sah, die es von ihnen gab, da hörte ich zu meinen eigenen Füßen die Verzagtheit stöhnen. Ich schob sie fort von mir und dachte nach. Ein Mensch, ein einzelner, war nicht zu helfen fähig,
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