23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
Schritt, keinen einzigen! Es ist durch keine Lockung aber auch durch keine Peitsche zu bewegen, sich von der Stelle zu rühren.“
„Aber wenn man es führt, während jemand darauf sitzt?“
„So tut es grad soviel Schritte, wie es geführt wird, doch keinen einzigen weiter. Ich habe mich schon gefragt, ob das Natur oder Dressur ist.“
„Natur – Dressur? Es kann durch keine Dressur erzwungen werden, was die Natur überhaupt verbietet. Es ist dem, was man Dressur nennt, möglich, die Grenzen des Wollens und Könnens um ein weniges zu verrücken; weiter kann sie nichts. Wenn das Tier aus Liebe zu seinem Herrn etwas tut, was gegen seine sogenannte Natur verstößt, oder wenn es sogar nach und nach selbst Freude an einem ihm angewöhnten Vorgang findet, der keine Folge seiner ursprünglichen Instinkte ist, so kann man doch wohl nicht mehr von Dressur sprechen. Es ist ein Unterschied, ob der Dresseur mit der Peitsche dasteht oder ob das Tier etwas früher Gelerntes später ganz aus freiem Willen tut. Bei Dschafars Pferd steht niemand, der es durch heimliche Winke oder offene Drohungen zwingt, etwas zu leisten, was ihm eigentlich widerstrebt. Es denkt; es will; es folgt einem eigenen Entschluß und führt ihn sogar mit einer so ausdauernden Energie aus, daß sich mancher Mensch ein Beispiel an ihm nehmen könnte. Es läßt sich weder durch freundliche Verführung noch durch Drohung oder gar Roheit irre machen. Das ist höchster Pferdeadel! Ein gewöhnlicher Gaul würde nur aus Angst gehorchen, so lange er die Peitsche sieht. Was der Schah-in-Schah in dieses Pferd gelegt hat, ist keine tote Angewöhnung, keine stumpfsinnige Zwangesgehorsamkeit. Es ist eine sehr liebe und sehr gütige Hand gewesen, von welcher das edle Tier dieses ‚Syrr‘ empfangen hat, und es wird auch nur derselben Gesinnung gelingen, es zu lösen.“
„Syrr, hast du gesagt? – Sonderbar!“ rief er aus.
„Warum?“ fragte ich.
„Das ist der Name des Pferdes. Es heißt Syrr. Hast du vielleicht schon von ihm gehört, oder war es Zufall, daß du dieses Wort brauchtest?“
„Zufall? Du weißt doch, daß es für mich keinen Zufall gibt! Ich wußte übrigens nichts von diesem Pferd.“
„Aber du wirst doch nicht etwa behaupten wollen, diesen Namen infolge einer Fügung oder Schickung gefunden zu haben! Das wäre doch wohl lächerlich! Verzeihe mir dieses Wort!“
„Ich behaupte nichts, und ich vermute und ich folgere nichts. Ich wiederhole nur, daß es für mich diesen Freund der Oberflächlichkeit, den Zufall, nicht mehr gibt. Man nennt ihn auch das ‚blinde Ungefähr‘. Es scheint nur ‚ungefähr‘ zu sein und ist auch keineswegs blind. Wer ruhig wartet und die Augen offenhält, der lernt dann ganz gewiß die verborgenen Fäden kennen.“
„Verborgene Fäden zwischen dir und diesem Syrr?“ lachte er. „Effendi, Effendi, welcher Wunderglaube!“
„Wer hat sie angeknüpft? Du selbst!“ antwortete ich ebenso heiter. „Du hast ein Wort betont, bei dem ich mir gar nichts dachte. Ob dieser Ton nur von dir stammt und also bedeutungslos ist, das wird sich finden. Hat denn Dschafar nicht irgendeinmal wegen dieses Geheimnisses mit dem Schah-in-Schah gesprochen?“
„Doch! Er erzählte es mir. Der Beherrscher erkundigte sich einst bei ihm, wie sich das Pferd befinde. Da klagte er ihm seine Not und erzählte von den vielen vergeblichen Versuchen, welche angestellt worden waren. Hierauf lächelte der Schah wie in stiller Freude vor sich hin und sagte: ‚Sobald der Rechte kommt, wird es sofort und stets gehorchen, aber nur ihm allein. Es ist mein Syrr. Kein Mensch wird es ergründen!‘ Dschafar verstand diese Worte nicht. Auch mir sind sie dunkel. Was denkst du dir wohl dabei, Effendi?“
„Nichts, Syrr heißt ‚Geheimnis‘, sogar ‚Mysterium‘. Achten wir es, indem wir nicht versuchen, an ihm herumzutasten. Das ist der Wille des Beherrschers!“
„So wollen wir für jetzt schließen. Ich bitte um die Erlaubnis, dich hinauf in deine Wohnung führen zu dürfen.“
Und indem er sich an den Peder wendete, fügte er für ihn hinzu:
„Bereite es vor, daß, sobald der Brief an den Offizier fertig ist, einige Boten sofort nach Bagdad reiten, um ihn und seinen Diener zu holen. Er wird sich nicht entschließen können, ohne diesen zu reisen. Für Kepek, den Gewichtigen, werden sie eine Kamelsänfte mitnehmen müssen, weil ein anderes Transportmittel für ihn gewiß zur Marter werden würde.“
Nun trennten wir uns vom Scheik.
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