23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
Hause‘ hin. Es war kein Mondschein. Kann da ein vollständig Fremder unbemerkt durchkommen? Sodann der vielgekrümmte Weg herauf zum Haus! Ich kenne ihn. Rechne ich die Länge des Duar hinzu, so hätte ein im Anschleichen geschulter Indianer gewiß wenigstens zwei volle Stunden gebraucht, um bis herauf an das Tor zu kommen. Vom Verlöschen unserer Lichter an bis zum Erscheinen des Multasim war aber nur die Hälfte dieser Zeit vergangen. Der Weg scheint ihm also nicht unbekannt gewesen zu sein.“
„Er hat aber bewiesen, daß er im Anschleichen außerordentlich geschickt ist!“
„Das ändert nichts, denn ich habe einen wenigstens ebenso geschickten Indianer angenommen, und der Henker war ja nicht allein. Es befanden sich zwei Begleiter bei ihm, die durch ihre so prompt besorgte Gefangennahme bewiesen haben, daß sie es nicht einmal verstanden, sich genügend zu verstecken! Nein, nein! Dieser nächtliche Besuch kann unmöglich der erste gewesen sein! Ich werde mir den Multasim vornehmen, ehe ich ihn früh entlasse. Vielleicht gelingt es mir, etwas aus ihm herauszufragen.“
Die erwähnten Einwürfe waren mir von dem Peder gemacht worden. Jetzt schien der Ustad sich auf etwas zu besinnen. Er richtete die Frage an ihn:
„Wie war es doch mit jenem fremden Perser, den wir hier pflegten, bis sein verstauchter Fuß heil geworden war? Aus welchem Grund hatte er das Mauerwerk erstiegen?“
„Um nach Altertümern zu suchen“, antwortete der Gefragte. „Er war aus Teheran und hatte dort einen Laden, in welchem solche Sachen verkauft werden. Es war an einem Dienstag früh, als wir ihn fanden.“
„Und da denke ich auch noch an jenen Arzt aus Hamadan, der an einem Montage sich so lange weigerte, bei uns zu bleiben.“
„Der hatte sich verirrt. Man traf ihn, als es schon dunkel war, und führte ihn zu uns herauf. Er wollte sich gar nicht halten lassen, obwohl er keinen wirklich triftigen Grund dazu angeben konnte. Diese beiden Personen kommen hier gar nicht in Betracht. Sie waren ehrliche Leute, aber keine Sillan. Dagegen fiel mir soeben etwas anderes ein. Erinnerst du dich der Peitsche, welche Tifl fand, als er hinüber auf die Mauern stieg um nach wildem Kekik otu (Thymian) für seine Küche zu suchen?“
„Natürlich weiß ich das. Es ist noch gar nicht lange her, und die Peitsche liegt dort hinter meinen Büchern. Ich schrieb den Tag an welchem sie gefunden wurde, auf einen Zettel dazu, um dadurch vielleicht auf den Verlierer zu kommen. Sie gehörte keinem Dschamiki. Das fiel mir damals nicht auf. Jetzt aber beginne ich, bedenklich zu werden. Fällt dir sonst noch etwas ein?“
„Nein.“
„Mir auch nicht.“
Da rief ich aus:
„Es ist auch genug, vollständig genug! Was seid ihr doch für liebe, gute, unbefangene Menschen!“
„Siehst du auch hier einen Grund, Verdacht zu hegen?“ fragte der Ustad.
„Einen nur? Zehn, zwanzig Gründe habe ich! Bitte, zeige mir zunächst die Peitsche!“
Er holte sie. Es war eine Reitpeitsche. Am Griffe hing ein Zettel. Darauf stand: Dienstag den 9ten Ssäfär. Dieser Griff war schwarz lackiert. An einer Stelle, wo der Lack abgesprungen war, sah ich helles Blech. Er war also hohl. Der ebenso schwarze Knauf war dick und schwer jedenfalls mit Blei ausgegossen. Ich versuchte, ihn zu drehen. Es gelang. Als ich ihn heruntergeschraubt hatte, war die Höhlung offen. Es steckte etwas Dunkles darin. Ich zog es heraus. Es war ein Stück schwarzer, dichter, zusammengerollter Seidenstoff, den ich auseinanderzog. Drei Löcher! Für Mund und Augen! Vier Schnüre, um über den Ohren und hinten am Hals zusammengebunden zu werden.
„Was ist das?“ fragte ich, indem ich mir die Seide vor das Gesicht hielt.
„Eine Larve!“ rief der Peder.
„Ja, eine Larve!“ bestätigte der Ustad.
„Und von wem habe ich vermutet, daß er jedenfalls maskiert vor die Pädärahn trete?“
„Von dem Ämir-i-Sillan“, antwortete der letztere.
„Am Dienstag gefunden! Wann aber ist der ‚Tag des Solds‘, von welchem der Pädär-i-Baharat sprach?“
„Des Montags.“
„An was für einem Tag wollte sich der Arzt aus Hamadan nicht bei euch halten lassen?“
„Eines Montag abends.“
„An was für einem Tage wurde der Altertümerhändler mit verstauchtem Fuß angetroffen?“
„Dienstag früh.“
„Ustad! Peder! Seid ihr auch jetzt noch blind?“
Sie antworteten nicht. Sie sahen mir vor Erstaunen starr in das Gesicht.
„Glaubt ihr noch immer, daß kein Sill bei euch gewesen
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