23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
auch viele Tausend nicht. Dies nächtliche Getier stand unter einem Schutz, der mächtiger als Menschenschwachheit ist, dem Schutz der Dunkelheit. Jedoch noch mächtiger als diese ist das Licht. Gelang es mir, es dort hinüber in den Bau zu tragen, der ihm seit langer Zeit fast ganz verschlossen war, so mußten diese Sauger an die Helligkeit des Tages fliehen, wo sie von jedermann erkannt und dann gemieden werden konnten.“
Als der Ustad hier eine Pause machte, nahm der Peder das Wort.
„Was du jetzt sagtest, führtest du auch aus. Wir kannten dich noch nicht; du hattest keine Hilfe und wagtest dich allein in die Ruinen. Jedoch grad diese Kühnheit hat uns für dich gewonnen!“
„Es war viel leichter, als man denken sollte!“ lächelte der Ustad. „Ich habe mich nicht etwa eingeschlichen. Ich kam im vollen, hellen Licht des Tages und sagte ehrlich, wer und was ich sei. Da hielt man mich erst recht für einen Schatten, der aus der Welt des Lichts hierher in ihre Dunkelheit geworfen worden sei. Auch dies vermochte nicht, zum Trug mich zu bewegen. Ich nahm mein Licht heraus und zündete es an. Sie hatten nichts dagegen. Das kleine Flämmchen schien sogar hier Freude zu bereiten. Es konnte diese große Finsternis ja doch nur tiefer machen, und für die Menschen draußen brauchte man es als Beweis, daß man in den Ruinen das Licht zu schätzen wisse.“
Da fiel der Peder ein:
„Wir sahen dieses Licht. Es zog uns an. Wir kamen nach dem Bau. Erst einzeln nur, doch bald in größeren Scharen. Wir drangen in den Bau. Es wurde hell in ihm, weil wir nicht ohne unsere Lichter kamen. Da ging ein schrillendes Gekreisch durch alle seine Gänge. Es flatterte und huschte überall. Wir leuchteten in alle Ecken und stöberten die Flederwesen auf. Sie flohen vor uns her auf jede Öffnung zu. Und wer da draußen stand, der sah sie wie verscheuchte Irrgedanken aus dem Gemäuer kommen und, um die Ecken biegend, schnell verschwinden. Ob vielleicht welche, tief versteckt, sich noch im Bau befanden, das kümmerte uns nicht, weil wir doch nicht die Absicht haben konnten, ihn für uns zu benutzen. Wir bauten uns im Sonnenlicht an und haben bis zum heutigen Tag noch keinen Grund gehabt, es zu bereuen.“
„Ihr werdet auch fernerhin keinen solchen Grund finden“, sagte ich. „Für jetzt scheint es mir beachtenswert, daß du nicht genau weißt, ob damals vielleicht welche von den Massaban unentdeckt geblieben sind. Habt ihr denn die Ruinen nicht genau untersucht?“
„Doch! So weit sie nämlich zugängig waren. Es gibt auch alte, ganz oder halbverschüttete Gänge, in welche wir nicht vorgedrungen sind, weil wir keine zwingenden Gründe dazu hatten. Der Bau des Duar nahm uns so in Anspruch, daß wir keine Zeit fanden, alte Löcher neu auszugraben.“
„Wohl! Lassen wir das einstweilen ruhen! Wir haben es mit dem Ämir-i-Sillan zu tun. Er brüstete sich schamlos damit, daß die Massaban seine Beschützten seien. Er hat gesagt, daß es in seiner Macht stehe, euch das frühere Gebiet dieser Leute mit der Hilfe von Soldaten wieder abzunehmen. Er will dies aber nicht tun, falls ihr euch bewegen laßt, ihm einen bestimmenden Einfluß über euch einzuräumen. Warum das? Er muß doch Gründe haben! Sollten diese auf den Umstand deuten, daß ihr gewisse Teile der Ruinen noch nicht kennt? Wir werden diese Frage weiter verfolgen, sobald wir Zeit dazu finden. Es gibt für ihn noch eine andere, allgemeinere und noch wichtigere Ursache, euch zu stören. Ich habe sie bereits angedeutet. Er haßt die Kultur, weil sie ihn seiner Macht beraubt. Es liegt in seinem Interesse, sie zu vernichten und nicht wieder aufkommen zu lassen. Das ist ganz derselbe Geist, welcher Etage um Etage eurer Steinpyramide ihrem ursprünglichen Zweck entzog um sie schließlich mit gesindelhaften Menschen zu bevölkern. Grad eben, als er dies erreicht hatte und nun damit beginnen konnte, das, was ich vermute, in das Werk zu setzen, kam der Ustad, um mit Hilfe seiner Dschamikun dieses Gesindel wieder zu vertreiben – – –.“
„Was vermutest du?“ fragte mich der Ustad.
„Davon später!“ antwortete ich. „Für meinen jetzigen Gedankengang genügt die Bemerkung daß der Ämir-i-Sillan euer Gebiet als Stützpunkt seiner Pläne nicht nur betrachtet hat, sondern selbst auch heute noch betrachtet. Es ist sogar möglich, daß eure Ruinen für ihn von noch größerer Bedeutung als diejenigen des Birs Nimrud sind. Seine Pläne scheinen ihrer Ausführung entgegen
Weitere Kostenlose Bücher