23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
zu treiben. Wäre dies nicht der Fall, so wäre er nicht in eigener Person und öffentlich gekommen und hätte es noch viel weniger gewagt, mit seinen Reden und Forderungen so aus sich herauszutreten.“
„Vielleicht gibst du dem allem eine größere Bedeutung als es verdient“, warf der Ustad ein.
„Das glaube ich nicht. Ich überlege kalt und objektiv. Der Mirza hat heut Dinge gesagt, von denen man nur dann so deutlich redet, wenn man sie als letzte und höchste Trümpfe ausspielen will. Warum zum Beispiele dieses auffällige Eingehen auf das Wettrennen? Welchen Zweck hat dieses Rennen für ihn? Etwa euch einige Pferde oder Kamele abzugewinnen? Wirst du ihm das glauben? Ist es vielleicht deshalb, weil er dadurch eine unauffällige Gelegenheit findet, sich für einige Zeit hier aufzuhalten und herumzutreiben? Wir werden aufpassen, und ich hoffe, daß es uns gelingt, seinen Absichten auf die Spur zu kommen! Du glaubtest, Ustad, daß ich übertreibe. Bedenke doch, um was für einen Mann es sich handelt! Es ist ein großer Unterschied, ob ein gewöhnlicher Soldat oder ein hoher General geheime Pläne hegt. Wenn ein Prinz von der Bedeutung Ahriman Mirzas euch hinter dem Rücken des Schah-in-Schah mit Vernichtung droht, mit seinen geheimen Gewalten prahlt und es unternimmt, euch verrückt klingende Anschläge zu machen, die kein vernünftiger Mensch begreifen kann, so kann es sich nicht um die bedeutungslose Subordination eines Soldaten gegen sein Korporälchen handeln, sondern die Angelegenheit muß eine höchst wichtige sein, und zwar nicht nur für dich und deine Dschamikun!“
„Willst du mich bange machen, Effendi?“ fragte er besorgt.
„Nein! Ich will nur beweisen, daß wir vorsichtig zu sein haben. Wenn der Mirza fortfährt, so schwatzhaft zu sein, wie er heut gewesen ist, so denke wenigstens ich an keine Bangigkeit. Nur darf er nicht vermuten, daß wir ihn zu durchschauen beginnen. Darum dürfen wir ihn in seinem Anschlag gegen Dschafar Mirza nicht eher stören, als bis die rechte Zeit dazu gekommen ist. Wir machen also seinen Brief an den ‚Henker‘ wieder zu. Der Multasim muß ihn auf jeden Fall bekommen.“
„Aber wie?“
„Auf irgendeine Weise, die ihn im Zweifel darüber läßt, wer der Bote gewesen ist.“
„Das kann ich jetzt in Isfahan sehr leicht besorgen. Er wohnt ja da!“
„Ja; tue das! Ich aber werde mir den Brief sofort abschreiben, und auch das Alphabet. Es kann später von großem Vorteil sein, eine Kopie zu besitzen.“
Ich machte die beiden Abschriften in mein Taschenbuch. Als ich damit fertig war, erkundigte sich der Ustad:
„Es ist möglich, daß ich Dschafar Mirza in Isfahan treffe. Ich soll ihm also nichts sagen?“
„Nein. Ich wünsche, daß er vollständig unbefangen sei, damit Ahriman Mirza gar nichts merke. Dieser wird ihn auf irgendeine Weise veranlassen, mit hierher zu reiten. Das gibt eine vortreffliche Gelegenheit, den Mord dann auf uns zu schieben, welche Ahriman sich ganz gewiß nicht wird entgehen lassen wollen. Du sagst Dschafar nur das eine, daß ich hier bin. Wenn er das hört, wird er sicher kommen. Dann sind wir wahrscheinlich genauer unterrichtet als jetzt und können ihm gleich Bestimmtes mitteilen, während er jetzt fast nur Vermutungen hören würde.“
„Durch die Erwähnung daß man versuchen wird, Dschafar zum Wettrennen herbeizulocken, erinnerst du mich daran, daß er das edelste und beste Pferd in ganz Persien besitzt.“
„Das ist viel gesagt, sehr viel!“ bemerkte ich.
„Es ist aber wahr!“
„Jedenfalls hat er es nicht selbst gezüchtet?“
„Nein. Es ist ein Geschenk des Schah-in-Schah.“
„So wird es bei Dschafar verdorben. Er ist kein Reiter und wird es auch nie werden. Das habe ich gesehen, als ich ihn kennen lernte.“
„Du bist Kenner, und doch hast du Unrecht. Dieses Pferd ist bisher weder von Dschafar selbst noch von irgendeinem andern verdorben worden. Niemand hat es noch je geritten.“
„Warum?“
„Der Grund ist ebenso einfach wie unglaublich. Dieses herrlichste aller Vollblüter läßt sich nämlich nicht reiten, absolut nicht!“
„Das wäre!“ rief ich ungläubig aus. „Persien hat doch Reiter!“
„Allerdings! Aber die besten, die kühnsten und auch die geduldigsten haben es vergeblich versucht.“
„Läßt es niemand aufsteigen, oder wirft es jeden ab?“
„Keines von beiden. Es läßt jeden hinauf und wirft keinen herunter. Es steht wie ein Lamm; aber es bleibt eben stehen. Es tut keinen
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