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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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die keiner überschreitet, der noch lebt.“
    „So hast du also doch noch nicht begriffen!“ sagte ich.
    „Was?“ fragte er.
    „Die Stelle meiner letzten Strophe: ‚Begreifst du nun auch jetzt das große Wunder, das doch so einfach ist, noch immer nicht‘ –! Du hältst dich für einen Dichter, denn du dichtest. Und doch weißt du nicht, was ein Gedicht ist und wie es entsteht. Denk noch so tief und schön, und sage es in Reimen, das, was du schreibst, ist dennoch kein Gedicht. Der wahre Dichter denkt und schreibt zwar auch, doch was er schreibt ist Wirklichkeit und Leben, ist niemals nur Erdachtes. Dem einen fehlt das Selbsterleben des andern. Der eine ‚hat‘ Geist, der andere aber ‚ist‘ Geist. Und dieser Geist kennt jene Grenze nicht, von der du sprachst. Ihm sind die Tore anderer Welten offen. Er geht da aus und ein. Ist er zurückgekehrt, um zu berichten, so kann er das nur in der Sprache tun, die man hier in der Körperwelt versteht. Und dieses Übersetzen ist nicht leicht; man lernt es nur durch Mühe und Entsagung. Ich kenne keinen einzigen, der hierin Meister wurde; sie alle blieben bei dem Lehrling stehen. Auch ist dies Übersetzen undankbar; ich meine undankbar im engsten Erdensinne. Wer Geistesleben übertragen will, der findet hier bei uns nicht eine einzige Form und keinerlei Begriff für das, was er uns gibt. Er hat sich mit der irdischen Gestalt und mit dem Menschenwort zu begnügen, die aber völlig unzureichend sind für seinen Zweck. Er kann nicht deutlich sagen, was er zu sagen hat, und uns nicht offen zeigen, was wir doch sehen sollen. Und wir, wir stehen dabei, mit vollen Körpersinnen und doch fast blind und taub für seine ganze Mühe. Der Ernste zwar, der logisch denkt und groß und rein empfindet, wird sehr bald ahnen, daß es um Unbeschreibliches, um Heiliges sich handelt, und darum sich befleißigen, sein Auge und sein Ohr dafür zu schärfen. An diesem Fleiß wächst sodann sein eigner Geist empor und lernt den andern nach und nach begreifen.“
    „So ungefähr, wie ich zu wachsen habe“, fiel da der Ustad ein.
    „Wer aber nicht so lauteren Herzens ist“, fuhr ich fort, „und triftige Gründe hat, den reinen Geist zu hassen, der stürzt sich wütend auf das arme Wort und auf die unwillkommene Gestalt und gibt sich Mühe, beide zu vernichten. Gelingt ihm dies, so prahlt er laut, den Geist besiegt zu haben, und wird von seinesgleichen hoch auf den Schild gehoben. Gelingt es aber nicht, so wirft er um die Blöße, die er sich gab, den Mantel frechen Spottes und greift anstatt des Geistes nun auch den Menschen an, um nichts an ihm zu lassen, was ihn zum Menschen machte. Welch ein Jubel nun für alle, die ebenso niedrig denken wie er! Sie fallen mit derselben Gier über den Verhaßten her. Er wird verhöhnt, geächtet, ausgestoßen, und wehe ihm, wenn er nichts andres wäre als eben nur der Mensch, der an dem Pranger steht! Weißt du nun, Ustad, wie undankbar, ja wie gewagt es ist, mit der ‚Geisterhand‘ schreiben zu wollen? Der Spott würde sich sofort deiner bemächtigen. Die raffinierte, rücksichtslose Lüge würde an dich herantreten, um den erhabenen Begriff, welcher dir bei dem Worte ‚Geist‘ vorschwebt, zu fälschen und in ‚Gespenst‘ zu verwandeln. Man würde höhnisch behaupten, du meinest nicht das Reich der Geister, welche große, edle Menschen sind, sondern das Geisterreich, von dessen Vorhandensein nur der Aberglaube faselt. Und selbst wenn du nicht mit Menschen-, sondern mit Engelzungen sprächst, die Unvernunft würde dich nicht verstehen ‚können‘ und die Feindschaft dich nicht begreifen ‚wollen‘, sondern dir alle möglichen Eigenschaften und Absichten unterschieben, aber ja nur keine guten!“
    „Aber die Vernünftigen, Effendi?“
    „Sie können dir keine Hilfe gewähren, denn sie sind machtlos, dem Heer der andern gegenüber. Du kannst dich nur auf dich selbst verlassen. Du hast alleinzustehen, ganz, ganz allein, in allertiefster Seeleneinsamkeit, fest, stark, unerschütterlich – – – vollständig gleichgültig gegen jeden Schmutz, mit dem man nach dir wirft, gegen jede Niedertracht und Tücke, die aus vollen Nüstern dir entgegenschnaubt. Selbst die, welche an dir hangen, verstehen dich meist falsch, denn es erfordert Gedankenewigkeiten, bevor sie lernen, durch das Wort und die Gestalt hindurch den Sinn, den Geist, die Seele zu erfassen. Also auch sie stehen nicht bei dir, an deiner Seite. Aber grad diese Einsamkeit, diese

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