23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
Verlassenheit ist es, die dir den allerbesten, den einzigen Schutz gewährt. Bist du stark genug dich zu dieser Entsagung zu bekennen, so gewinnst du sie lieb, unendlich lieb. Dein Ohr hört weder Lob noch Tadel mehr, und alles, was sich gegen dich aufbäumt, muß ohnmächtig in sich selbst zusammenfallen.“
„Ich begreife dich und begreife dich doch nicht“, gestand er ein. „Auch ich habe entsagt, dann aber doch wenigstens meine Dschamikun gefunden. Die Einsamkeit, von der du sprichst, ist mir beinahe undenklich.“
„So schreibe, wie du ja wolltest, mit deiner Geisterhand; dann wirst du sie sofort kennen lernen! Versuche es, deinen Lesern ins Körperliche zu übersetzen, was Geist, was Seele ist, du wirst die Folgen so schnell an dir verspüren, daß es dir grauen möchte! Zeige ihnen einmal ein volles Menschen-Ich, von dessen Wesen sie trotz aller Psychologie noch keine Ahnung haben. Zerlege es vor ihren Augen in deutliche Gestalten, von denen du glaubst, daß sie sofort verstanden werden müssen – was wird die Folge sein? Man sieht das nicht, was du beschreibst, und denkt darum, du redest nur von körperlichen Dingen. Das preßt den Blinden jenes Lachen aus, worüber Sehende am liebsten weinen möchten. Man nennt dich einen Lügner, einen Prahler. Man spricht von Eigenlob, von widerlicher Selbstreklame. Und doch kann nirgendwo die Arroganz so ungeheuer sein wie grad bei diesen Toren, die ihren blinden Willen dem Schöpfer und den Menschen, sogar der sämtlichen Natur als oberstes Gesetz ins Antlitz schleudern. Was tust du dann, wenn diese – – –“
Ich konnte nicht weitersprechen, denn es fiel unter uns ein Schuß und wieder einer. Gleich hierauf hörte ich Kara Ben Halef, welcher seine Lagerstätte bekanntlich auf dem platten Dach über der Halle hatte, ausrufen:
„Was war das? Warum hat man geschossen?“
„Die Gefangenen brechen aus!“ erwiderte eine weibliche Stimme.
„Wallahi! Laß sie nicht in das Haus! Ich packe sie hier von oben!“
Kaum gesagt, tat er es auch: Er schoß vom Dach hinunter in den Hof.
„Das war die Stimme meiner wachsamen Schakara!“ rief der Ustad. „Eile du hinab zu ihr, Effendi! Ich gebe meinen Dschamikun das Zeichen mit der Glocke; dann folge ich dir nach. Nimm deine Waffen; sie sind aber nicht geladen!“
Um die Lampe stehen lassen zu können, steckte ich eine Talgkerze an und ging schnellen Schrittes hinunter in die ‚Rumpelkammer‘. So lange die Menschheit nicht Frieden hält, darf auch der Friedliche nicht auf die Wehr verzichten. Das wurde uns beiden jetzt bewiesen. Ich nahm den Stutzen nebst Patronen und sprang dann, mehr als ich stieg die unteren Treppen hinab. Da stand Schakara vor der Tür, welche in die Halle führte; sie hatte den Eisenriegel vorgeschoben und eine Pistole in der Hand. Am Boden stand eine brennende Lampe, daneben lagen die Kleider des Bluträchers. Auf dem Hof brüllten viele Stimmen drohend durcheinander. Karas Schüsse krachten. Er beschützte von oben herab die Stufen zu der Halle. Ich warf das Licht weg weil es mich hinderte, lud das Gewehr und erkundigte mich während dieser höchst eiligen Beschäftigung bei der Kurdin:
„Wie kamst du dazu, bewaffnet zu sein und die Flucht der Gefangenen zu entdecken?“
„Frage das später!“ antwortete sie. „Horch! Die Glocken klingen! Nun erwachen alle unsere Krieger. Da ist die Gefahr für das hohe Haus vorüber. Die Feinde können jetzt weiter nichts mehr tun als schleunigst fliehen. Lehre sie die Stimme deines Gewehres kennen!“
Sie schob den Riegel zurück und öffnete die Tür. Grad als ich hinaus in die dunkle Halle trat, kam Hanneh von oben herab.
„Mein Halef, mein Halef!“ rief sie aus. „Wenn er die Schüsse hört, so wacht er auf und wird sich tief erregen!“
Sie eilte zu ihm hin. Ich aber bemerkte zu meiner Beruhigung daß kein Fremder hier eingedrungen war. Sie waren schon fast alle zum Tor hinaus, und ich schickte ihnen mehrere Schüsse nach, doch nur in der Absicht, sie zu beängstigen, nicht aber, sie zu treffen.
„Verteilt euch schnell, schnell!“ hörte ich die Stimme des Bluträchers brüllen. „Nur euch nicht wieder ergreifen lassen! Nur rasch zum Dorf hinaus! Wir kommen ja doch wieder. Dann aber Rache, Rache!“
Die Glocken klangen weiter, in einzelnen, warnenden Schlägen. Im Küchengarten krachten jetzt auch Schüsse. Das war, wie ich später erfuhr, Tifl, der dort hinter den Sträuchern stand. Die übrigen männlichen Bewohner des Hauses
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