23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
nicht“, antwortete ich. „Es ist mir vielmehr eine Freude, daß du dich wieder einmal bei mir sehen läßt. Nimm bei mir Platz!“
Er ließ sich mit den Worten nieder:
„Ich komme in einer sehr wichtigen Angelegenheit. Es gab für mich einen Grund, mit dir zu sprechen, ohne daß man darauf merkte, daß ich dich im hohen Haus besuchte. Ich überlegte soeben, wie ich dies anzufangen habe, da sah ich dich bei mir vorüberreiten und ging sogleich zum Boot, um hier auf deine Rückkehr zu warten. Da trifft es sich gut, daß du grad hier abgestiegen und gar nicht weitergeritten bist.“
„So ist es etwas Heimliches, was du mir zu sagen hast?“
„Ja.“
„Aber wir sind doch nicht allein!“
„Du meinst meinen Begleiter hier? Der ist ein treuer Dschamiki und darf alles hören. Er weiß es sogar schon.“
„Ein treuer Dschamiki? Das klingt ja fast so, als ob es auch untreue gebe!“
„Wo das Gute wohnt, baut sich das Übel immer auch ein Haus. Doch jetzt zur Sache! Ich habe einen Freund in Chorremabad, der Hauptstadt unserer Provinz. Er ist im Herzen ein guter Dschamiki und hat mir über die uns betreffenden Maßnahmen der Regierung schon manche heimliche Nachricht geschickt, welche ich dem Ustad mitzuteilen hatte. Heut, vorhin erst, kam wieder ein Bote von ihm an, der mir eine Mitteilung machte, über welche ich zunächst erschrak. Bei näherer Betrachtung aber fand ich, daß es noch schlimmer, viel schlimmer geworden wäre, wenn der Scheik ul Islam uns so vollständig überrascht hätte, wie es in seiner Absicht liegt.“
„Der Scheik ul Islam?“ fragte ich. „Will uns überraschen? Also hierher kommen?“
„Ja.“
„Wann?“
„Er trifft schon morgen ein.“
„Das ist ja gar nichts so Schreckliches, sondern ganz im Gegenteil im höchsten Grad interessant!“
Da hob er warnend den Finger und sprach:
„Effendi, urteile nicht so schnell! Du bist hier fremd, bist sogar krank und kennst die Verhältnisse nicht! Der Scheik ul Islam ist ein sehr hochgestellter, wichtiger Mann, von dessen Macht du wohl noch keine Ahnung hast. Er würde selbst für den Ustad ein Gegner sein, vor dem die größte Vorsicht nötig ist. Darum trifft es sich keineswegs gut, daß unser Herr verreist ist. Ich bitte dich, es mir nicht übelzunehmen, daß ich dich warne! Der morgige Besuch kommt in einer Absicht, hinter der sich alle List versteckt, die uns verderben kann. Darum wollte ich, der Ustad wäre hier!“
„Auch ich wünsche das. Da er nun aber einmal abwesend ist, haben wir den Fall zu nehmen, wie er liegt. Auch er muß, wie alles, mehrseitig betrachtet werden. Beklagst du es, daß der Scheik ul Islam von einem Fremden empfangen werden muß, so gewährt uns grad dieser Umstand doch auch den gar nicht zu unterschätzenden Vorteil, daß er sich von mir hinhalten lassen muß, er mag beabsichtigen, was er will. Während er den Ustad zu schnellen Entscheidungen verleiten könnte, deren Tragweite sich erst später herauszustellen hat, muß er es sich nun gefallen lassen, von mir vorsichtig ausgehorcht zu werden, ohne daß ich dann verpflichtet bin, auf irgend etwas einzugehen. Du siehst also wohl ein, daß ich, falls es sich um Feindseligkeiten handeln sollte, von den beiden Gegnern derjenige bin, welcher die Schutzrüstung trägt, der andere aber nicht!“
Er nickte zwar nur leise, ließ aber seine Augen forschend an mir niedergleiten, und sagte:
„Vorsichtig ausgehorcht zu werden! Effendi, dazu würde ein Mann gehören, wie ich noch keinen kenne!“
„So warte ruhig ob du ihn wohl siehst!“
„Der Scheik ul Islam ist wegen seiner hohen geistlichen Würde unantastbar, und über seine persönliche Schlauheit kam noch nie ein anderer. Dazu ist noch zu legen, daß er ein ganz besonderer Kenner aller unserer Gesetze und Verhältnisse ist, während du dich doch erst so kurze Zeit bei uns befindest!“
„Wenn ich nicht will oder nicht kann, so brauche ich weder auf seine Kenntnisse noch auf seine Schlauheit einzugehen. Vor allen Dingen bitte ich dich, unbesorgt zu sein und jedes Vorurteil abzulegen, mag es mich oder ihn betreffen. Ist der Bote deines Freundes noch hier?“
„Nein; er ist schon wieder fort. Die Vorsicht gebot ihm, sich so kurz wie möglich sehen zu lassen. Er macht einen Umweg zurück, um dem Scheik ul Islam ja nicht zu begegnen.“
„Wird dieser mit dem großen Gefolge kommen, welches bei so hohen Würdenträgern fast immer unvermeidlich ist?“
„Das weiß ich nicht. Auch konnte ich nicht
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