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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
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Wirtschaftsfunktionäre meist keine Ökonomen, sondern Ingenieure und Wissenschaftler, wie es in China heute noch der Fall ist. In Korea war der Anteil an Rechtsanwälten in der Wirtschaftsverwaltung ebenfalls sehr hoch, besonders vor den Achtzigerjahren. Oh Won-Chul, der Kopf hinter dem Förderprogramm für die Chemie- und Schwerindustrie, welches die koreanische Volkswirtschaft in den Siebzigern vom Exporteur billiger Konsumgüter zum erfolgreichen »Global Player« im Bereich Elektronik, Stahl und Schiffbau machte, war von Haus aus Ingenieur.
    Wenn wir also wie im Fall Ostasiens keine Wirtschaftler brauchen, um eine gute Wirtschaftsleistung zu erzielen, wozu sind die Wirtschaftswissenschaften dann gut? Haben der IWF, die Weltbank und andere internationale Organisationen etwa ihr Geld verschwendet, weil sie in Entwicklungsländern spezielle Kurse für Regierungsvertreter anboten und an begabte junge Leute Stipendien vergaben, damit diese in den USA oder Großbritannien an Universitäten studieren konnten, die für ihre wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten berühmt sind?
    Eine mögliche Erklärung für das ostasiatische Phänomen ist, dass man in der Wirtschaftspolitik weniger ökonomisches Spezialwissen, sondern vor allem einen gesunden Menschenverstand braucht. Möglicherweise sind die Hörsäle der Universitäten auch zu weit von der Realität entfernt, sodass die Ausbildung nur von geringem praktischem Nutzen ist. Sollte dies der Fall sein, wird eine Regierung fähige neue Wirtschaftspolitiker vorrangig unter den Absolventen prestigeträchtiger Studiengänge suchen (zum Beispiel Jura, aber auch Ingenieurwissenschaften und sogar Wirtschaftswissenschaften, je nach Land). Wer hingegen ein Fach studiert hat, bei dem sich bekanntermaßen alles um die Wirtschaftspolitik dreht (sprich: Wirtschaftswissenschaften), hat weit geringere Karrierechancen (siehe Nr. 17). Diese Hypothese wird indirekt durch die Tatsache gestützt, dass die Wirtschaftspolitik in vielen lateinamerikanischen Ländern zwar oft von hochkarätigen Wirtschaftsfachleuten gelenkt wurde (General Pinochets »Chicago-Boys« sind hier wohl das Paradebeispiel), ihre Wirtschaftsleistung jedoch hinter den Zahlen der ostasiatischen Länder weit zurückblieb. In Indien und Pakistan gibt es ebenfalls viele Weltklasseökonomen, aber ihre Wirtschaftsleistung ist kein Vergleich zu der Ostasiens.
    John Kenneth Galbraith, der geistreichste Wirtschaftler aller Zeiten, übertrieb zwar, als er sagte, »die Wirtschaftswissenschaften dienen vor allem dem Zweck, die Wirtschaftswissenschaftler in Lohn und Brot zu halten«, andererseits lag er damit vielleicht gar nicht so sehr daneben. In der echten Welt scheinen die Wirtschaftswissenschaften für das Wirtschaftsmanagement keine besondere Bedeutung zu haben.
    Es ist sogar noch schlimmer. Es gibt Grund zur Annahme, dass die Wirtschaftswissenschaften unter Umständen sogar regelrecht schädlich für die Volkswirtschaft sind.

War denn das Ganze wirklich nicht vorhersehbar?

    Im November 2008 besuchte Königin Elizabeth II. die London School of Economics, die eine der renommiertesten wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten der Welt besitzt. Während eines Vortrags über die aktuelle weltweite Finanzkrise fragte die Königin den Redner, Professor Luis Garicano: »War denn das Ganze wirklich nicht vorhersehbar?«
    Ihre Majestät stellte damit eine Frage, die den meisten Menschen seit dem Beginn der Krise im Herbst 2008 auf der Zunge lag.
    Während der letzten paar Jahrzehnte hieß es immer, dass mit der Weltwirtschaft alles zum Besten stehe – so versicherten uns jedenfalls all diese hoch qualifizierten Experten, von Wirtschaftswissenschaftlern mit Nobelpreis über Finanzregulatoren von Weltruf bis hin zu den erschreckend klugen jungen Investmentbankern mit Abschlüssen von den besten Universitäten der Welt. Man machte uns weis, die Wirtschaftler hätten endlich die magische Formel gefunden, dank derer unsere Volkswirtschaften bei geringer Inflationsrate schnell wachsen könnten. Die Leute redeten von einer »Goldlöckchen-Volkswirtschaft«, in der alles perfekt aufeinander abgestimmt sei – nicht zu träge, nicht zu nervös. Alan Greenspan, der ehemalige Vorsitzende des Federal Reserve Board, der zwei Jahrzehnte lang über die größte und (finanziell wie ideologisch) einflussreichste Volkswirtschaft der Welt wachte, wurde gar als Dirigent der Weltwirtschaft gepriesen – so der Titel eines Buchs, das der durch die

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