23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
herrschte großer Idealismus für den Aufbau einer neuen Gesellschaft. In der Sowjetunion kam es während und nach dem Zweiten Weltkrieg außerdem zu einer Welle des Patriotismus. In allen kommunistischen Ländern gab es zudem gewissenhafte Manager und Arbeiter, deren Arbeitsmoral und Selbstachtung es verlangten, dass sie gut arbeiteten. Obendrein war das Gleichheitsideal des frühen Kommunismus in den Sechzigerjahren einem neuen Realismus gewichen und eine erfolgsorientierte Entlohnung die Norm geworden. Das Problem eines fehlenden Arbeitsanreizes konnte somit umgangen (wenn auch keinesfalls eliminiert) werden.
Trotz alledem funktionierte das System nicht besonders gut. Dies lag an der Ineffizienz der zentralen Planwirtschaft, die eine Alternative zur wesentlich effizienteren Marktwirtschaft bieten sollte.
Die kommunistische Rechtfertigung der zentralen Planwirtschaft gründete sich auf eine recht zwingende Logik: Karl Marx und seine Anhänger argumentierten, das fundamentale Problem des Kapitalismus sei der Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Natur des Produktionsprozesses und dem Privateigentum an den Produktionsmitteln. Mit fortschreitender wirtschaftlicher Entwicklung – oder der Entwicklung der Produktivkräfte, um im marxistischen Jargon zu bleiben – nimmt die Arbeitsteilung zwischen den Unternehmen zu, was ihre gegenseitige Abhängigkeit verstärkt beziehungsweise die gesellschaftliche Natur des Produktionsprozesses intensiviert. Trotz dieser wachsenden Abhängigkeit der Firmen untereinander, so die Marxisten, bleibe das Firmeneigentum fest in privater Hand, wodurch es unmöglich werde, die Handlungen dieser voneinander abhängigen Unternehmen zu koordinieren. Natürlich bewirkten Preisänderungen eine Art rückwirkende Koordination von Firmenentscheidungen, allerdings in eher begrenztem Umfang. Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, das solche »Koordinationsversagen« (ein nichtmarxistischer Begriff) hervorriefen, führe regelmäßig zu Wirtschaftskrisen. Während einer Wirtschaftskrise, so heißt es weiter, werde eine Menge wertvoller Ressourcen vergeudet. Viele unverkaufte Produkte würden weggeworfen, Maschinen zur Produktion mittlerweile ungewünschter Dinge würden verschrottet, und ebenso fähige wie willige Arbeiter würden aufgrund mangelnder Nachfrage entlassen. Mit der Weiterentwicklung des Kapitalismus werde sich dieser systemimmanente Widerspruch vergrößern, sagten die Marxisten voraus. Die Wirtschaftskrisen würden sich verschlimmern und schließlich zum Sturz des gesamten Systems führen.
In einer zentralen Planwirtschaft hingegen, so argumentierten die Marxisten, gehörten sämtliche Produktionsmittel der Gemeinschaft. Dadurch ließen sich die miteinander verwobenen Aktivitäten der Wirtschaft und damit die gesamte Produktion durch einen gemeinsamen Plan im Voraus koordinieren. Da jedes mögliche Koordinationsversagen von vornherein vermieden werden könne, leide die Volkswirtschaft nicht unter periodischen Krisen zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage. In der zentralen Planwirtschaft produziere die Volkswirtschaft ausschließlich nach dem Bedarf. Keine Ressource bleibe ungenutzt, weil es keine Wirtschaftskrisen mehr gebe. Daher könne die zentrale Planwirtschaft eine Volkswirtschaft wesentlich effizienter koordinieren als die Marktwirtschaft.
Soweit zumindest die Theorie. Leider funktionierte die zentrale Planwirtschaft in der Praxis nicht besonders gut. Das Hauptproblem war die Komplexität. Die Marxisten mögen in ihrem Denken recht gehabt haben, dass die Entwicklung der Produktivkräfte durch die wachsende Abhängigkeit verschiedener Kapitalsegmente untereinander eine zentrale Planung notwendiger macht. Sie erkannten jedoch nicht, dass dabei auch die gesamte Volkswirtschaft an sich komplexer wird, was eine zentrale Planung wiederum deutlich erschwert .
Die zentrale Planwirtschaft funktionierte gut, als die Ziele relativ einfach und klar waren, wie man an der frühen Industrialisierung in der Sowjetunion sehen kann. Das Hauptziel war damals, eine relativ überschaubare Reihe von Schlüsselprodukten (Stahl, Traktoren, Weizen, Kartoffeln usw.) in großer Menge zu produzieren. Als sich die Volkswirtschaft jedoch weiterentwickelte, hatte man es plötzlich mit einer wachsenden Anzahl (tatsächlich und potenziell) verschiedener Produkte zu tun. Dank der Verbesserungen im Management, in den mathematischen Planungstechniken und in der
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