23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
ausreichend Geld zu verdienen. Menschen ohne Erfahrung in Geschäftsdingen mag das seltsam erscheinen. In einem Land jedoch, das rasch wächst und wo sich ständig neue Möglichkeiten zu geschäftlicher Betätigung bieten, lassen sich echte Geschäftsleute nicht einmal durch 299 umständliche Genehmigungsverfahren davon abhalten, einen neuen Geschäftszweig zu eröffnen. Wenn es hingegen unterm Strich kaum etwas zu verdienen gibt, sind bereits 29 Genehmigungen viel zu beschwerlich.
Darüber hinaus ist der Grund dafür, dass gerade einige Länder mit streng regulierten Volkswirtschaften so gut aufgestellt sind, die positive Wirkung dieser Regulierungen auf die Wirtschaft.
Manchmal helfen Regulierungen bestimmten Industriezweigen, indem sie den Handlungsspielraum einzelner Firmen beschränken. So versprechen manche Aktivitäten kurzfristig zwar höhere Profite, drohen am Ende jedoch die Ressourcen zu verbrauchen, die sämtliche Firmen eines Industriezweigs benötigen. Zum Beispiel mindert die Regulierung intensiver Fischzucht zunächst vielleicht den Gewinn einzelner Fischzuchten, dafür aber ist der Fischzuchtindustrie insgesamt besser gedient, weil die Qualität des Wassers erhalten bleibt, von welchem alle Fischzuchten abhängen. Ein weiteres Beispiel: Es mag im Interesse einzelner Firmen liegen, Kinder zu beschäftigen und ihnen einen geringeren Lohn zu zahlen als Erwachsenen. Eine Ausbreitung der Kinderarbeit jedoch mindert auf lange Sicht die Qualität der gesamten Arbeitnehmerschaft, weil die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder beeinträchtigt ist. In einem solchen Fall profitiert langfristig die gesamte Wirtschaft von einem strengen Verbot der Kinderarbeit. Und noch ein Beispiel: Einzelne Banken mögen von einer aggressiveren Kreditvergabe profitieren. Wenn aber alle anderen Banken das Gleiche tun, kann ihnen das am Ende schaden, weil ein solches Kreditgebaren die Gefahr eines Systemzusammenbruchs erhöht, wie wir in der globalen Finanzkrise 2008 sehen konnten. Den Handlungsspielraum von Banken einzuschränken, kann für diese also langfristig sehr nützlich sein, selbst wenn sie davon zunächst nicht unmittelbar profitieren (siehe Nr. 22).
Staatliche Regulierung kann nicht nur verhindern, dass Firmen langfristig die Basis ihres eigenen Geschäfts untergraben. Manchmal fördern Regulierungen bestimmte Industrien auch, indem sie Firmen zu Aktivitäten zwingen, die vielleicht nicht in ihrem Einzelinteresse liegen, auf lange Sicht jedoch die kollektive Produktivität steigern. Zum Beispiel investieren Betriebe oft nicht genug in die Ausbildung ihrer Mitarbeiter. Das liegt daran, dass sie fürchten, ihre Mitarbeiter könnten von anderen Firmen abgeworben werden, die dann ohne eigenes Zutun von den Früchten dieser Ausbildung profitieren würden. In einem solchen Fall ist es sinnvoll, wenn die Regierung eine für alle Firmen verbindliche Ausbildungsordnung erlässt und dadurch insgesamt die Qualität der verfügbaren Arbeitskräfte erhöht, was am Ende allen zugutekommt. Oder: In einem Entwicklungsland, das Technologien aus dem Ausland importieren muss, kann ein Importverbot für veraltete ausländische Technologien verhindern, dass eine ganze Industrie in einer technologischen Sackgasse landet. Auch wenn sich die Produktivität durch solche Importe kurzfristig steigern lässt, so kann durch ein entsprechendes Verbot langfristig doch eine höhere Produktivität gesichert werden.
Karl Marx bezeichnete einen Staat, der die wirtschaftliche Freiheit im kollektiven Interesse der Kapitalistenklasse durch Regulierungen einschränkt, als »Exekutivkomitee der Bourgeoisie«. Man muss jedoch kein Marxist sein, um zu erkennen, dass restriktive Auflagen für einzelne Firmen im kollektiven Interesse eines gesamten Wirtschaftszweigs sein können, vom nationalen Interesse ganz zu schweigen. Mit anderen Worten: Es gibt viele Formen staatlichen Eingriffs, die eher wirtschaftsfreundlich als -feindlich sind. Etliche Regulierungen fördern die Wirtschaft, indem sie Firmen zu Aktivitäten zwingen, die langfristig die Gesamtproduktivität steigern. Nur wenn wir das anerkennen, werden wir auch begreifen, dass es nicht auf die absolute Regulierungsdichte ankommt, sondern auf die Ziele und Inhalte dieser Regulierungen.
Neunzehn: Der Kommunismus ist zwar Geschichte, trotzdem leben wir immer noch in Planwirtschaften.
Was sie uns erzählen
Die Grenzen wirtschaftlicher Planung sind durch das Ende des Kommunismus
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