23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
eindrücklich demonstriert worden. In komplexen modernen Volkswirtschaften ist Planung aber weder wünschenswert noch erforderlich. Nur dezentrale Entscheidungen durch den Marktmechanismus, die darauf basieren, dass Individuen und Firmen stets nach gewinnbringenden Geschäftsmöglichkeiten Ausschau halten, sind dazu geeignet, eine komplexe moderne Volkswirtschaft am Leben zu erhalten. Wir sollten uns von dem Irrglauben verabschieden, dass in dieser komplexen und sich ständig verändernden Welt irgendetwas planbar wäre. Je weniger Planung, desto besser.
Was sie uns verschweigen
Kapitalistische Volkswirtschaften sind zu einem großen Teil geplant. Auch die Regierungen in kapitalistischen Volkswirtschaften betreiben wirtschaftliche Planung, wenngleich in geringerem Umfang als in der zentralen kommunistischen Planwirtschaft. So finanzieren sie etwa einen signifikanten Teil der Infrastruktur und investieren im Bereich von Forschung und Entwicklung. Durch die geplanten Aktivitäten staatlicher Unternehmen planen die meisten auch einen bedeutenden Teil der Volkswirtschaft. Viele kapitalistische Regierungen planen durch eine sektorale Industriepolitik die künftige Form einzelner Industriebereiche oder durch indikative Planung sogar die der gesamten Volkswirtschaft. Darüber hinaus bestehen moderne kapitalistische Volkswirtschaften aus großen, hierarchisch aufgebauten Körperschaften, die ihre Aktionen sehr genau vorausplanen, oft sogar über Staatsgrenzen hinweg. Die Frage ist daher nicht, ob man plant oder nicht. Es geht vielmehr darum, die rechten Dinge zur rechten Zeit zu planen.
Obervolta mit Raketen
In den Siebzigerjahren bezeichneten viele westliche Diplomaten die Sowjetunion als »Ober volta mit Raketen«. Welch eine Beleidigung – und zwar für Obervolta (1984 umbenannt in Burkina Faso), das dadurch zum Paradebeispiel eines armen Landes abgestempelt wurde, obwohl es in der weltweiten Armutsstatistik alles andere als am unteren Rand rangierte. Der Spitzname brachte jedoch genau auf den Punkt, was mit der sowjetischen Volkswirtschaft nicht stimmte.
Die UdSSR war ein Land, das Menschen ins All schießen konnte, dessen Bürger aber für Grundnahrungsmittel wie Mehl und Zucker Schlange stehen mussten. Das Land hatte keinerlei Schwierigkeiten, Interkontinentalraketen und Atom-U-Boote zu bauen, einen halbwegs brauchbaren Fernseher indes bekam man nicht hin. Kaum zu glauben, doch Berichten zufolge soll in den Achtzigerjahren der zweithäufigste Grund für Brände in Moskau ein explodierender Fernseher gewesen sein. Die besten russischen Wissenschaftler waren ebenso fähig wie ihre Kollegen in kapitalistischen Ländern, aber der Rest des Landes vermochte nicht Schritt zu halten. Woran lag das?
Die kommunistische Vision einer klassenlosen Gesellschaft basiert auf dem kollektiven Eigentum der Produktionsmittel (etwa Maschinen, Fabrikgebäude oder Straßen). Um diese Vision in die Realität umzusetzen, setzte die Sowjetunion zunächst auf Vollbeschäftigung und ein hohes Maß an Gleichheit. Da es niemandem gestattet war, Produktionsmittel zu besitzen, wurden praktisch sämtliche Betriebe von professionellen Managern geleitet (mit minimalen Ausnahmen, etwa kleine Restaurants und Friseure). Dies bewirkte, dass die UdSSR keine visionären Unternehmer wie Henry Ford oder Bill Gates hervorbrachte. Vor dem Hintergrund der politisch geforderten Gleichheit gab es klare Obergrenzen dafür, wie viel ein Manager verdienen durfte, ganz gleich, wie erfolgreich er auch war. Dadurch aber wurde nur ein geringer Anreiz geschaffen, den hohen technologischen Standard des Systems für die Produktion von Gütern zu nutzen, die die Menschen tatsächlich wollten. Die Politik einer Vollbeschäftigung um jeden Preis bedeutete auch, dass Managern die ultimative Drohung zur Disziplinierung der Arbeiterschaft – nämlich die Entlassung – versagt war. Die Folgen waren Schlamperei am Arbeitsplatz und häufige Fehlzeiten. Als Gorbatschow die Sowjetunion zu reformieren versuchte, sprach er regelmäßig vom Problem der Arbeitsdisziplin.
Freilich bedeutete das alles nicht, dass in den kommunistischen Ländern niemand motiviert war, hart zu arbeiten oder ein gut gehendes Unternehmen zu führen. Selbst in kapitalistischen Volkswirtschaften ist Geld nicht alles (siehe Nr. 5), doch bauten die kommunistischen Länder weniger auf die selbstsüchtige Seite der menschlichen Natur – mit einigem Erfolg. Insbesondere in den Anfangstagen des Kommunismus
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