23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
den Rest der Vereinigten Staaten hingegen waren sie nicht gut. Die gewaltige Rechnung, die der amerikanische Steuerzahler durch das Rettungspaket präsentiert bekam, ist der handfeste Beweis dafür. Die USA wären insgesamt besser beraten gewesen, hätte man GM rechtzeitig dazu gezwungen, in neue Technologien zu investieren und bessere Autos zu bauen, anstatt staatlichen Schutz einzufordern, kleinere Mitbewerber aufzukaufen und sich zu einem Finanzunternehmen zu mausern.
Obendrein waren sämtliche Aktionen, die es GM ermöglichten, mit dem geringstmöglichen Aufwand immer wieder den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, am Ende nicht einmal gut für GM selbst – soweit man GM nicht mit seinen Managern und einer sich ständig verändernden Gruppe von Aktionären gleichsetzt. Die Manager bezogen Gehälter in absurder Höhe, weil sie immer höhere Profite erwirtschafteten. Dies wiederum erreichten sie dadurch, dass sie nicht in das Produktivitätswachstum investierten, sondern stattdessen schwächere »Interessengruppen« ausquetschten – ihre Belegschaft, die Zulieferbetriebe und die Beschäftigten dieser Firmen. Sie erkauften die stillschweigende Zustimmung der Anteilseigner, indem sie ihnen Dividenden und Rückkaufswerte in einem Umfang anboten, der die Zukunft des gesamten Unternehmens gefährdete. Den Aktionären war das egal, und viele befürworteten solche Praktiken sogar, weil die meisten nur sogenannte Streuaktionäre waren. Die langfristige Zukunft des Unternehmens kümmerte sie nicht, sie konnten ja von einem Augenblick auf den anderen wieder aussteigen (siehe Nr. 2).
Die Geschichte von GM lehrt uns einiges über die potenziellen Konflikte zwischen privatwirtschaftlichen und nationalen Interessen – was gut für ein Unternehmen ist, wie wichtig dieses auch sein mag, muss nicht unbedingt gut für das Land sein. Der Fall GM verdeutlicht zudem die Konflikte zwischen den verschiedenen Interessengruppen innerhalb eines solchen Konzerns. Was gut für Manager und Streuaktionäre ist, mag für andere nicht gut sein, etwa für die Arbeitnehmer und Zulieferer. Schließlich sehen wir auch, dass kurzfristige Rettungspakete einem Unternehmen langfristig sogar schaden können – was heute für GM gut ist, muss nicht auch morgen gut für GM sein.
Nun mag sich der eine oder andere Leser – selbst wenn er von dieser Argumentation bereits überzeugt ist – trotzdem fragen, ob die Vereinigten Staaten nicht nur eine Ausnahme sind, welche die Regel bestätigt. Eine zu geringe staatliche Regulierung mag in den USA ein Problem sein, doch ist in den meisten anderen Ländern nicht genau das Gegenteil, die Überregulierung, das Problem?
299 Genehmigungen
In den frühen Neunzigern veröffentlichte die in Hongkong ansässige englischsprachige Wirtschaftszeitschrift Far Eastern Economic Review eine Sonderausgabe über Korea. In einem Artikel kam die Verwirrung darüber zum Ausdruck, dass Korea – pro Kopf gerechnet – während der vorangegangenen drei Jahrzehnte mit einer Rate von über 6 Prozent gewachsen war, obwohl man dort für die Eröffnung einer Fabrik bis zu 299 Genehmigungen von bis zu 199 verschiedenen Stellen benötigte. Wie war das möglich? Wie kann ein Land mit einem derart erdrückendem Bürokratieapparat so schnell wachsen?
Bevor ich versuche, dieses Rätsel aufzulösen, muss ich darauf hinweisen, dass bis zu den Neunzigerjahren nicht nur in Korea Überregulierung und pulsierende Volkswirtschaften nebeneinander existierten. In Japan und Taiwan war die Situation während der dortigen »Wirtschaftswunderjahre«, also von den Fünfzigern bis zu den Achtzigern, durchaus vergleichbar. Die chinesische Volkswirtschaft ist während der letzten drei Jahrzehnte rapiden Wachstums ebenfalls streng reguliert worden. Im gleichen Zeitraum haben viele Entwicklungsländer in Lateinamerika und Schwarzafrika ihre Volkswirtschaften in der Hoffnung dereguliert, dass dies wirtschaftliche Aktivitäten stimulieren und das Wachstum beschleunigen würde. Seltsamerweise sind diese Volkswirtschaften seit den Achtzigerjahren aber weitaus langsamer gewachsen als in den Sechziger- und Siebzigerjahren, als noch eine angeblich wachstumshemmende Überregulierung herrschte (siehe Nr. 7 und 11).
Die erste mögliche Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch ist, dass Geschäftsleute durchaus bereit sind, 299 Genehmigungen einzuholen (und einige durch Schmiergeldzahlungen zu umgehen, sofern möglich), wenn am Ende die Aussicht besteht,
Weitere Kostenlose Bücher