23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
diesen marktfreundlichen Ansatz begrüßen und dem neuen Mann eine Gehaltserhöhung zusprechen?
Nein. Er würde keine Woche lang im Unternehmen bleiben. Die Leute würden sagen, er habe keine Führungsqualitäten. Man würde ihm vorwerfen, es mangele ihm an Visionen (dem »vision thing«, wie George Bush senior sich einmal ausdrückte). Der oberste Entscheidungsträger, würde es heißen, sollte die Zukunft des Unternehmens in die eigene Hand nehmen, anstatt sie einfach geschehen zu lassen. Man könne kein Unternehmen führen, indem man blind den Signalen des Marktes folge, würde es heißen.
Die Leute erwarten von einem neuen Topmanager eher etwas in der Art: »Hier steht unser Unternehmen heute. Und dorthin will ich es innerhalb der nächsten zehn Jahre bringen. Um dieses Ziel zu erreichen, werde ich verstärkt auf die Geschäftszweige A, B und C setzen und dafür nicht weiter in D und E investieren. Unser Tochterunternehmen im Bereich D wird verkauft. Unser hiesiges Tochterunternehmen in der Sparte E schließen wir, verlegen aber vielleicht einen Teil der Produktion nach China. Um unser Tochterunternehmen im Geschäftszweig A weiterzuentwickeln, müssen wir es durch die Profite aus bestehenden Geschäften gegenfinanzieren. Um uns im Geschäftszweig B zu etablieren, müssen wir eine strategische Allianz mit der japanischen Kaisha Corporation eingehen. Dazu gehört möglicherweise, dass wir ihnen einige Waren liefern, die wir unter den marktüblichen Kosten produzieren. Um unseren Aktionsradius im Bereich C auszudehnen, müssen wir unsere Investitionen in Forschung und Entwicklung über die nächsten fünf Jahre erhöhen. All das führt möglicherweise dazu, dass das Gesamtunternehmen kurzzeitig Verluste schreibt. Wenn das der Fall sein sollte, bin ich damit einverstanden. Denn das ist der Preis, den wir für eine bessere Zukunft bezahlen müssen.« Mit anderen Worten: Von einem Topmanager erwartet man, dass er (oder sie) »einen Plan hat«.
Unternehmen planen ihre Aktivitäten – oft bis ins kleinste Detail. Genau dadurch kam Marx auf die Idee, die gesamte Volkswirtschaft zentral zu planen. Als er erstmals von Planung sprach, betrieben Regierungen noch keinerlei wirtschaftliche Planung. Damals planten nur Firmen. Marx zufolge ist der »rationale« Planungsansatz kapitalistischer Firmen der verschwenderischen Anarchie des Marktes überlegen und muss deshalb eines Tages auf die gesamte Volkswirtschaft übertragen werden. Freilich kritisierte er die Planung innerhalb einer Firma als kapitalistischen Despotismus, doch glaubte er, dass die Elemente eines solchen Despotismus sich isolieren und zum Wohle der Gemeinschaft einsetzen ließen, wenn erst das Privateigentum abgeschafft und die Kapitalistenklasse beseitigt wären.
Mit der weiteren Entwicklung des Kapitalismus fielen immer mehr Bereiche der Volkswirtschaft unter die Kontrolle großer Konzerne. Dies bedeutet, dass der von wirtschaftlicher Planung abgedeckte Bereich der kapitalistischen Volkswirtschaft gewachsen ist. Ein konkretes Beispiel: Schätzungen zufolge machen die Transfers zwischen verschiedenen Einheiten weltweit operierender Konzerne heutzutage dreißig bis fünfzig Prozent des internationalen Handels aus.
Herbert Simon, ein Pionier auf dem Gebiet der Organisationstheorie, der 1978 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wurde (siehe Nr. 16), brachte dies 1991 in einem seiner letzten Artikel auf den Punkt. Unter dem Titel »Organisationen und Märkte« stellte er sich die Frage, ob ein Marsmensch, der ohne Vorkenntnisse auf die Erde käme, wohl annehmen würde, die Erdlinge lebten in einer Marktwirtschaft . Nein, meinte Simon, er würde ziemlich sicher zu dem Schluss gelangen, dass die Erdlinge in einer organisatorischen Volkswirtschaft lebten – und zwar in dem Sinn, dass der überwiegende Teil der irdischen Wirtschaftstätigkeit innerhalb von Firmen (Organisationen) koordiniert wird anstatt durch Geschäftsvorgänge zwischen Firmen. Wenn Firmen grün und Märkte rot dargestellt wären, würde der Marsianer laut Simon »große, durch rote Linien verbundene grüne Flächen« sehen und nicht etwa »ein Netzwerk roter Linien, die grüne Flecken verbinden«. 2 Und wir glauben, die Planwirtschaft wäre Geschichte.
Simon sprach nicht von staatlicher Planung, aber wenn wir diesen Aspekt mit einbeziehen, sind moderne kapitalistische Volkswirtschaften sogar noch durchgeplanter, als sein Marsianer-Beispiel nahelegt. Die Planung innerhalb der Konzerne
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