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2308 - Die Schattenlosen

Titel: 2308 - Die Schattenlosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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musste sie die Augen schließen und sich zum Durchatmen zwingen. Alles drehte sich, alles entfernte sich. Sie konnte den Stamm fühlen, doch er war kalt. Sie spürte nicht, wie der Saft in ihm floss.
    Die Traumsichere hob wieder die Lider. Was sie sah, ließ ihr den Atem stocken.
    Die Wolken hatten ein Muster in ihrer von keinem Wind verursachten Wanderung am blutroten Himmel. Sie hatte sich nicht geirrt. Sie drehten sich in Spiralen um einen gemeinsamen Mittelpunkt. Sie trieben nicht alle in eine Richtung, sondern kreisten ...
    ... über dem Heiligen Hügel! Über der Hohen Ebene!
    Die Coralie ging weiter. Ihre Augen schmerzten vom Licht der Sonnenmutter zwischen den grell leuchtenden Wolkenfetzen. Ja, es waren Fetzen, als hätte eine riesige Hand sie zerrissen.
    Und sie wirbelten immer schneller um ihren Mittelpunkt.
    Der Weg schlängelte sich langsam den Hügel hinauf. Ela hatte Angst, ohne zu wissen, wovor. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Ihr Atem ging stoßweise. Am liebsten hätte sie laut geschrien.
    Die letzten Meter bis hinauf zur Ebene fielen ihr am schwersten. Es kam ihr vor, als kämpfe sie gegen eine unsichtbare Wand, einen zähen Nebel.
    Dann wichen die Bäume zur Seite, und sie sah sie vor sich.
    Ganz langsam ging sie weiter, fast ohne zu atmen.
    Die Ebene, die Hochfläche des Heiligen Hügels, war so groß, dass zwanzig oder mehr Dörfer hineingepasst hätten.
    Auf ihr wuchs nichts. Sie bestand aus kahlem, nacktem Felsgrund, und genau in ihrer Mitte standen sie – neun riesige Säulen, die hoch in den Himmel reichten, als wollten sie an den Wolken kratzen oder sich zur Sonnenmutter strecken, die seit ewigen Zeiten auf sie herab schien.
    Ela erinnerte sich genau an das Gefühl, das sie gehabt hatte, als sie als Mädchen hier stand, zusammen mit den anderen und den Frauen, und ihre Weihe erwartete. Ihr Herz klopfte genauso wie damals. Und in ihrem Kopf war der gleiche Schwindel, das gleiche Gefühl der Nähe von etwas Großem, Gewaltigem – ja Göttlichem!
    Das Spüren einer Macht, die größer war als die Elemente; größer als der Wald und das Land; größer als das Meer, der Wind, das Feuer.
    Sie hatte ihr Wispern gehört, damals.
    Sie hatten zu ihr gesprochen, und sie war nun gekommen, um wieder zu lauschen. Sie mussten ihr sagen, was sie zur Spürerin gesagt hatten. Die Spürerin war daran gestorben, aber sie war eine alte Frau gewesen. Ela war jünger und stark, obwohl sie sich jetzt gar nicht so fühlte. Und sie musste in Erfahrung bringen, was die Spürerin gewusst hatte; was so schrecklich war, dass sie es nicht hatte ertragen können – geschweige denn jemandem sagen.
    Doch sie hatte furchtbare Angst davor, und nacktes Entsetzen packte sie, als sie wieder zum Himmel aufsah.
    Die gelbroten Wolkenfetzen ballten sich in einem Wirbel genau über den neun gewaltigen Säulen am Himmel, der zu bluten schien. Sie drehten sich in einer immer schneller werdenden Spirale, und noch während sie aus weit aufgerissenen Augen hinsah, zuckten die ersten Blitze ohne Donner aus ihnen hervor, aus einem roten Meer aus Blut, und schlugen in die Schattenlosen ein.
    „Was bedeutet das alles?", hörte sie sich schreien. Sie erschrak vor der eigenen Stimme. „Sprecht zu mir! Antwortet!"
    Ihre Rufe gingen im Krachen des Donners unter. Die Wolkenfetzen ballten sich weiter zusammen, leuchteten noch heller in einem unglaublichen, grellen Licht und wirbelten immer schneller, wie in einem Rausch. Wieder zuckten die lautlosen Blitze, und plötzlich konnte Ela nicht mehr sagen, ob sie aus dem Himmel kamen und in die Schattenlosen einschlugen – oder ob es nicht umgekehrt war.
    Ob nicht die Blitze aus den Säulen kamen und in die Wolken fuhren!
    Eine eiskalte Hand schien sich um Elas Kehle zu legen und zuzudrücken.
    Sie schnappte nach Luft. Ihr Brustkorb drohte zu platzen. Und die Leere in ihrem Kopf wurde noch größer, als sauge etwas den letzten Rest von Orientierung aus ihr heraus und risse es in diesen furchtbaren Himmel, in den Wirbel hinein, in den grell strahlenden Schlund.
    „Helft mir!", schrie sie mit letzter Kraft. „Helft uns!" Tränen kullerten kalt über ihr Gesicht. „Bitte hört mich doch! Antwortet!"
    Ein Blitz fuhr direkt vor ihr in den steinigen Boden. Ela sprang zurück und starrte für einen Moment in ungläubigem Entsetzen in den Himmel und auf die neun Säulen, die selbst jetzt, in diesem entsetzlichen Lichtgewitter, keinen Schatten warfen.
    Zu ihren Füßen klaffte ein hässliches

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