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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Wind legten, wurden sie genauso stark durchgeschüttelt wie in einer Wolke.
    Vor sich konnten sie sehen, wie sich ihre Schlucht aus freiem Raum verengte und zu nichts zusammengedrückt wurde. Dahinter wirbelte ein Hurrikan, so groß, dass die ganze Erde darauf wie der heilige Brendan in seinem kleinen Boot hätte tanzen können. »Da müssen wir drüber wegfliegen«, sagte ihr Kapitän, und in einer sauberen Kurve stieg ihr Schiff empor, bis die flache Kuppe des Hurrikans sich unter ihnen drehte. Über ihnen standen die Sterne ruhig am Himmel.
    »Gibt es hier Flieger?«, fragte Swan. »Gibt es Leute, die im Vogelanzug durch diese Wolkenschluchten fliegen?«
    Wahram sagte: »Ja, ein paar. Normalerweise handelt es sich um Wissenschaftler bei der Arbeit. Bis vor Kurzem galt der Saturn als zu gefährlich für Besuche, weshalb er noch nicht so erschlossen ist, wie man es von anderswo kennt.«
    Swan schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich weißt du einfach nur nichts darüber.«
    »Kann sein. Aber ich glaube, ich würde von so etwas wissen.«
    »Du selbst kommst nicht so oft hier runter?«
    »Nein.«
    »Fliegst du hier unten mit mir?«
    »Ich kann nicht fliegen.«
    »Das kannst du der KI des Vogelanzugs überlassen und einfach nur als Passagier Anweisungen geben.«
    »Kann man denn auch mehr als das machen?«
    »Natürlich.« Sie bedachte ihn mit einem abfälligen Blick. »Überall im Sonnensystem, wo man fliegen kann, fliegen die Leute. Unsere Vogelhirne zwingen uns dazu.«
    »Aber sicher doch.«
    »Also kommst du mit.« Sie nickte, als hätte sie einen Streit gewonnen und ein Versprechen von ihm erhalten.
    Wahram legte das Kinn auf die Brust. »Du bist also eine Fliegerin?«
    »Wann immer es geht.«
    Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Sich solche vorauseilenden Schikanen gefallen zu lassen und sie dabei weiterhin zu lieben – das ging entschieden zu weit. Allerdings war es für solche Bedenken vielleicht bereits zu spät. Die Widerhaken saßen bereits ziemlich tief; er spürte, wie sie sich in seiner Brust bewegten; sie hatte ihn tatsächlich an der Angel, und alles, was sie sagte oder tat, interessierte ihn tatsächlich in höchstem Maße. Er war sogar bereit, Narreteien wie einen Vogelflug in den Wolken Saturns in Erwägung zu ziehen. Wie war das möglich? Als Frau war sie nicht mal sein Typ – ach Marcel, wenn du nur wüsstest –, diese Swan schien ihm noch schlimmer als Odette.
    »Irgendwann mal vielleicht«, sagte er und versuchte dabei, willig zu klingen. »Aber vorerst müssen wir dieses Schiff finden, das ihr sucht.«
    »Allerdings«, warf Inspektor Genette ein. »Und anscheinend liegt es vor uns.«
    Sie sanken weiter ab und tauchten erneut in eine Wolke ein. Das Schiff bebte heftig und ununterbrochen. Unter ihnen lagen weitere dreißigtausend Kilometer zunehmend dichter werdenden Gases, bevor man schließlich auf die schwarze Schicht gefrorenen Schleims traf, die sich nur schwer charakterisieren ließ und bei der es sich um die eigentliche »Oberfläche« des Planeten handelte. Es hieß, dass dort unten, in den tiefsten Tiefen, Raumschiffe versteckt waren, und Wahram hatte befürchtet, dass das von ihnen gesuchte sich ebenfalls dort befinden würde. Doch nun ragte südlich von ihnen ein Schiff aus den Wolken, bleiern vor dem Blau, unter einem riesigen, tropfenförmigen Ballon. Und dann rutschte es wie ein Gespenst wieder in die Wolken zurück, aus denen es aufgetaucht war.
    Das verlassene Schiff trieb und schwang unter seinem Ballon von einer Seite zu anderen. In der Wolke war es ein gutes Stück finsterer, es herrschten Schokoladenfarbtöne vor, die hier und da orange- oder bronzefarben aufleuchteten und sich dann wieder verdunkelten. Wenn man einen musikalischen Ausdruck für die Aussicht finden wollte, musste man wohl gleichzeitig Satie und Wagner spielen, dachte Wahram, ein winziger Stachel der Wehmut in den hochtrabenden Stürmen; welch kleines, verlorenes Schiff.
    Sie schnallten sich im Hopper des Wolkentauchers an und verließen mit ihm die Landebucht. Bebend kämpfte das kleine Schiff gegen die Turbulenzen an. Aus dem Nebel ragte die dunkle, schweigende Masse ihres Ziels. Wahram fühlte sich unwillkürlich an die Marie Celeste erinnert oder an Papas Hausboot auf dem Fluss. Doch er hatte keine Zeit für diese alten Geschichten, er musste sich auf die Gegenwart konzentrieren, die allem Anschein nach einen typischen Asteroidenschlepper bereithielt, mit einem klobigen, altmodischen

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