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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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spielte Kiran die Aufzeichnungen und Übersetzungen der Brille ab, wobei er versuchte, ein Gefühl für den Klang der chinesischen Sprache zu bekommen, und über die Bedeutung der Gesprächsfetzen grübelte. Da gab es anscheinend einen »Mann aus Schanghai.« Nánrén husheng . Er schien ein bedeutender Mann zu sein. Schanghai war überflutet, dachte Kiran. Vielleicht handelte es sich einmal mehr um einen Code. In der Singbar gab es ein Lied: »Meine Heimat war Schanghai – jetzt liegt sie unter dem Meer – ich kam auf die Venus, weil ich nicht bei den Fischen wohnen wollte – und jetzt bin ich hier, und es ist nasser als am Meeresgrund – und voller Haie! Liebe Güte!«
    Das Wort »sie«, tamen , schien sich auf die Arbeitsgruppe zu beziehen, oder auf irgendeine einflussreiche Kraft, die hinter den Kulissen wirkte. »Sie« wollen dies, »sie« werden das tun. Von unten gesehen war die Arbeitsgruppe offenbar völlig undurchsichtig. Entweder wurde sie gewählt oder eingesetzt; niemand wusste, was zutraf. Angeblich gehörten ihr etwa fünfzig Mitglieder an. Manche behaupteten, dass sie den Tongs der alten Heimat ähnelte, andere meinten, dass sie sich ihre Methoden bei den frühen Hans abgeschaut hätten, oder sogar von der untergegangenen Irokesen-Liga Nordamerikas.
    Zaofan und ihr Trupp steckten voller weiterer Geschichten, die man sich draußen auf der Straße in kleinen Häppchen erzählte. Lakshmi arbeitete mit anderen zusammen, darunter (natürlich) Vishnu sowie ein Rama und ein Krishna. Einen indischen Namen anzunehmen war vergleichbar damit, sich unter der Qing-Dynastie den Zopf abzuschneiden. Wenn diejenigen, die das taten, Teil der Arbeitsgruppe waren, was sagte das dann über die Beziehungen zwischen der Venus und China aus?
    Vishnu und Rama waren anscheinend nur bei Treffen, die im Raumhafen vom Kleopatra abgehalten wurden, was vielleicht bedeutete, dass sie nicht von diesem Planeten stammten oder dass sie viel reisten. Krishna lebte auf Venus, aber in Nabuzana, einer Schluchtstadt auf Aphrodite. Einmal wurde Kiran zu Lakshmi ins Zimmer gerufen, als Krishna zu Besuch war, oder zumindest behauptete Zaofan das später, als er ihr den Besucher beschrieb, den man ihm nicht vorgestellt hatte und der kein Wort gesprochen hatte.
    Shukras neues Gebäude bei Kleopatra 123 (falls es das war, worum es sich handelte) war sorgfältig gesichert. Nach den eintreffenden Nahrungsmitteln und dem ausgehenden Recyclingmaterial zu folgern wohnte dort rund um die Uhr eine kleine Belegschaft. Kiran verbrachte eine Menge Zeit in der Umgebung, spazierte umher und behielt das Gebäude im Auge, manchmal von der Randpromenade aus. Kiran fand heraus, dass Lakshmis Leute ebenfalls mehrere geschlossene Häuser in Kleopatra hatten. Vielleicht war sie deshalb der Meinung, dass Shukra sich in ihr Revier drängte, indem er sich auch eines anlegte.
    Dann kehrte er eines Tages zu Zaofans Unterkunft in Kleopatra zurück und stellte fest, dass ihr Bereich des Matratzenlagers von einer ganz anderen Gruppe belegt war. Zaofan war fort, genau wie Stärke der Nation und Großer Sprung – die gesamte kleine Gruppe, die ihn aufgenommen hatte. Der Verwalter der Unterkunft erklärte ihm, dass sie alle zusammen abgereist waren, nachdem sie einen Anruf von jemandem auf Aphrodite erhalten hätten. Er zuckte mit den Achseln. So lief das eben auf Venus, brachte er damit zum Ausdruck. Die Leute erhielten ihre Arbeitsanweisungen und zogen mit ihren Trupps weiter. Wenn man nicht zu einem Trupp dazugehörte, dann ging das einen nichts an. Man war xuan , man hing in der Luft.
    »Nein!«, rief Kiran laut. »Zaofan!« Er hatte mit diesen Leuten zusammen gelacht, er hatte ihre Namen auf Englisch gesagt und sie damit zum Lachen gebracht!
    Die neuen Leute auf dem Matratzenlager kehrten ihm den Rücken zu, bis er bereit war zu reden.
    Dann stellten sie sich vor, und da er ihnen erzählen konnte, wo es hier in der Gegend gute Bars und dergleichen gab, nahmen sie ihn in ganz ähnlicher Weise auf, wie der vorangegangene Trupp es getan hatte. Trotzdem fühlte Kiran sich verändert und blieb diesen Leuten gegenüber reservierter als bei seiner ersten Gruppe – bei der es sich eigentlich um seine zweite gehandelt hatte, wenn er genauer darüber nachdachte. Das würde immer wieder passieren, das begriff er jetzt. Man konnte sich anderen Menschen nicht beliebig oft hingeben.
    Der Verwalter der Unterkunft, mit dem er sich inzwischen recht gut verstand, erkannte, was in

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