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nicht.«
»Warum helfen wir ihnen dann nicht?«
»Das versuchen wir, Swan. Wirklich. Aber der Merkur hat eine Bevölkerung von einer halben Million, während die Erde eine Bevölkerung von elf Milliarden hat. Außerdem ist es ihr Planet. Wir können nicht einfach hier runterkommen und ihnen sagen, was sie zu tun haben. Genau genommen können wir sie nur mit Mühe und Not davon abhalten, zu uns heraufzukommen und uns zu sagen, was wir zu tun haben! So einfach ist es eben nicht. Das weißt du doch.«
»Ja. Aber jetzt fange ich wohl langsam an darüber nachzudenken, was das bedeutet. Was es für uns bedeutet. Du weißt doch, dass Inspektor Genettes Leute dieses Schiff identifiziert haben, das wir im Saturn gefunden haben, und festgestellt, dass es einer Firma in Tschad gehört.«
»Tschad ist bloß eine Steueroase. Bist du deshalb hier runtergekommen?«
»Ich denke schon. Warum nicht?«
»Swan, bitte überlass den Teil Inspektor Genette und den anderen Ermittlern. Es ist an der Zeit, dass du bei der Beschaffung von Startkulturen und Saatgut und all dem anderen Zeug hilfst, das wir auf der Erde kaufen und nach Hause verschiffen müssen.«
»Na schön«, sagte Swan unzufrieden. »Aber ich möchte auch mit Genette in Kontakt bleiben. Die Interplan-Ermittler stellen gerade auch Nachforschungen auf der Erde an.«
»Sicher. Aber bei Angelegenheiten wie diesen gibt es einen Zeitpunkt, ab dem die Datenanalysten die Sache übernehmen. Du musst einfach Geduld haben und die weitere Entwicklung abwarten.«
»Was ist, wenn die weitere Entwicklung in einer erneuten Attacke auf Terminator besteht? Oder auf etwas anderes? Ich glaube nicht, dass wir es uns leisten können, geduldig zu sein.«
»Nun ja, bei manchen Sachen kann man helfen und bei anderen eben nicht. Ich sag dir was – komm mich besuchen, dann reden wir darüber. Ich bringe dich auf den neuesten Stand darüber, was dort wirklich läuft.«
»Alles klar, mache ich. Aber ich mache einen Umweg.«
Swan streifte auf der Erde umher. Sie flog nach China und verbrachte dort mehrere Tage, in denen sie mit der Bahn von einer Stadt zur nächsten fuhr. Die meisten Stadtviertel waren als Arbeitseinheiten organisiert, Fabriken, in denen die Menschen ihr ganzes Leben verbrachten, wie auf der Venus. Von Kindheit an hatten sie Buchsen in den Fingerspitzen, und ihre Unterarme waren mit allerlei Apps tätowiert. Ihr Speiseplan versorgte sie mit der gesetzlichen Mindestmenge an Nährstoffen und mit Drogen. Das war auf der Erde nicht unüblich, aber nirgendwo war es so verbreitet wie in China, obwohl es kaum jemand zur Kenntnis nahm oder darüber redete. Swan erfuhr davon, weil sie Kontakt zu einem von Mqarets Kollegen aufnahm, der in Hangzhou arbeitete. Mqaret wollte, dass sie diesen Leuten eine Blutprobe gab, und da sie sowieso spazieren war, ging sie zu Fuß bei ihnen vorbei.
All die großen alten Küstenstädte waren durch den Anstieg des Meeresspiegels mehr oder weniger überflutet worden, und obwohl die meisten es gut überstanden hatten, war es infolgedessen zu massiven Bauaktivitäten landeinwärts gekommen, in Gegenden, die auch dann noch über Wasser liegen würden, wenn selbst das letzte Eis der Erde schmolz. Diese neue Infrastruktur begünstigte Hangzhou gegenüber Schanghai, und obwohl ein Großteil der neuen Gebäude und Straßen landeinwärts der traditionsreichen Stadt lagen, stellte das alte Stadtgebiet selbst nach wie vor das kulturelle Herz der Region dar.
Nach wie vor herrschte in der trichterförmigen Mündung des Qiantang eine starke Flutbrandung, und nach wie vor befuhren die Leute den Fluss mit zahlreichen kleinen Wasserfahrzeugen. Anscheinend waren sie trotz allem Spaß am Leben. Die gute alte Erde, so groß und schmutzig, mit einem Himmel, der aussah wie von braunen Flechten befallen, mit schlammfarbenem Wasser, mit ihren weiten, ausgelaugten und industrialisierten Landstrichen – aber all das trotzte immer noch den Stürmen des Lebens, niedergedrückt von der Gravitation und doch hart und wirklich. Während Swan durch die dicht bevölkerten Gassen der Altstadt schlenderte, ließ sie sich von Pauline mit den chinesischen Dialekten helfen, die sie nicht verstand. Dadurch sprach sie langsamer, aber das machte nichts. Die Chinesen waren ganz mit sich selbst beschäftigt und blickten durch sie hindurch. Sicherlich gehörte das zu den Dingen, vor denen die Venusianer geflohen waren: Alle waren auf sich selbst oder das Leben in ihrem Arbeitstrupp fixiert,
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