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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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einen Garten anlegen – aber gleichzeitig handelt es sich dabei um einen historisch neuen Vorgang und das Herzstück des Accelerando. Ich kann diese Tätigkeit gar nicht wärmstens genug empfehlen! Die Anschubkosten sind zwar nicht zu verachten, aber dort draußen gibt es immer noch viele Asteroiden, auf die bislang niemand einen Anspruch erhoben hat.

Wahram und Swan
    O bwohl es sich bei ihnen zweifellos lediglich um die technische Lösung für ein technisches Problem handelte, waren die Startschleudern des Merkur auch in ästhetischer Hinsicht interessant. Der Tunnel einer Magnetschwebebahn war zu einem Kegel gekrümmt, der auf der Spitze stand und nach oben breiter wurde. Die Kegelspitze war an einer Plattform befestigt, die sich auf einer Kreisbahn bewegte, der Durchmesser des Kreises entsprach in etwa der größten Breite des Kegels. Diese Drehung verstärkte sehr effektiv die Beschleunigung der Magnetschwebe-Fähren, während sie in die Höhe geschleudert wurden. Also saßen sie seitlich zum Boden in ihrer Fähre, aber während sie herumwirbelte, wanderte der Boden des Gefährts spürbar nach unten, ehe sie mit schwindelerregender Geschwindigkeit ins All geschossen wurden, so schnell, dass sie im selben Moment, in dem sie den Tunnel verließen, zu Holzkohle verbrannt wären, hätte es draußen eine Atmosphäre gegeben. Wenn man den Vorgang vom Raumhafen aus beobachtete, erinnerte er an eine Art Achterbahnfahrt auf einem Jahrmarkt aus alter Zeit. Im Innern der Fähre erlebte man deutliche Beschleunigungskräfte, die beinahe das bei Passagierreisen zulässige Maximum von 3,5 g erreichten.
    Swan Er Hong hatte sich, kurz bevor sie abhob, im Sitz neben Wahram angeschnallt, und entschuldigend das Gesicht verzogen, um sich für ihre unvermeidliche Verspätung zu entschuldigen. Jetzt beugte sie sich zu ihm hinüber, um aus dem kleinen Fenster auf die rasch zurückfallende Kraterlandschaft ihrer Heimatwelt zu schauen. Schnell verwandelte sich das Land von einer Ebene zu einer Kugel, die aus einer dünnen, in Sonnenlicht gebadeten Sichel und einer geschwollenen schwarzen Nachtseite bestand. Der Merkur war ein interessanter Ort, aber Wahram hatte nichts dagegen, ihn zu verlassen. Obwohl die Einheimischen sich alle Mühe gaben, sie mit Kunst etwas reizvoller zu gestalten, war seine Oberfläche eine verkohlte Schlackewüste. Und wenn er ehrlich war, hatte ihn während seines Aufenthalts in dieser erstaunlichen fahrenden Stadt das plötzliche Aufblitzen auf westlich gelegenen Erhebungen immer wieder an die Sonne erinnert, die sie unerbittlich verfolgte und ständig kurz davor stand, den Horizont zu zerfetzen und alles in Schutt und Asche zu legen.
    Ihre Fähre war zum Terrarium Alfred Wegener unterwegs, das sich so schnell bewegte, dass sie eine weitere Beschleunigungsphase bei 3 g durchlaufen mussten, um es einzuholen. Währenddessen stellte Wahram seinen Sitz zum Bett um und ließ die Andruckkräfte über sich ergehen wie alle anderen auch. Gegenüber stöhnte Swan und krümmte sich auf ihrer Liege zusammen. Wahram zwang sich, nicht an die Studien über die Auswirkungen von G-Kräften auf das menschliche Gehirn nachzudenken – dieses empfindliche Organ, das ungepolstert in seinem harten Gefängnis lag. Dann fing das Wegener -Terrarium sie ein, zog sie an sich und gab ihnen noch einen weiteren Schub, als wollte es ihn an seine Sorgen erinnern.
    Anschließend mussten Wahram und die anderen Passagiere sich in der plötzlichen Schwerelosigkeit zurechtfinden und sich von der Fähre ins Dock des Terrariums hangeln, schließlich ging es durch den Flaschenhals und eine breite, gepolsterte Treppe zum Zylinderboden hinunter.
    Das Innere von Wegener hatte beträchtliche Ausmaße. Das Terrarium war etwa zwanzig Kilometer lang und hatte einen Durchmesser von fünf Kilometern, und durch die Drehung wurde ein G-Äquivalent erzeugt. Der Großteil des Innenraums war ein Naturpark, mit einigen kleinen Ortschaften dazwischen, die größtenteils in Bug- und Hecknähe lagen. Die Mischung aus Savanne und Pampa war sehr schön anzusehen, dachte Wahram, während sie sich dem ersten Dorf näherten und dabei zum Land über ihren Köpfen aufblickten. Präriegras und Waldstückchen wölbten sich über ihnen wie die Kuppel einer gigantischen Sixtinischen Kapelle, in die Michelangelo das Bild eines denkbaren Gartens Eden gemalt hatte – eine Savanne, die erste Lebenswelt des Menschen, die etwas Tiefliegendes ansprach. Allerdings erzeugte die

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