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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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2312. Ein neuer Tag. Warm, aber nicht heiß. Leicht schwüle Luft, voller Insekten. Sie trug einen Ganzkörperanzug, der sie trocken hielt und der zum Glück sehr effektiv die Mücken und Fliegen fernhielt, die in dichten schwarzen Wolken umhertrieben und zuweilen wie wirbelnder Rauch aussahen. Die anderen Angehörigen ihres Teams waren nirgendwo in Sicht. Das gedehnte Auf und Ab der Landschaft wurde von niedrigen Kämmen zerhackt, bei denen es sich um eiszeitliche Wallberge handeln mochte. In jedem Fall konnte sie in Richtung Osten nur begrenzt weit sehen. Sie kletterte auf einen Pingo und schaute sich um. Ah, dort war Chris, nur ein paar Hundert Meter vor ihr. Anscheinend winkte er jemandem zu, der noch weiter im Osten war. Schön für die beiden.
    Schwammiges Taigagras und -moos bedeckte alle Senken. Nur einen Meter darüber erhoben sich längliche Teile des Felsfundaments, die von Norden nach Süden durchs Moor verliefen. Am besten wäre es gewesen, auf diesen natürlichen Straßen zu bleiben, aber ihr Team war nach Osten gegangen, um der Karibuherde zu folgen.
    Sie ging nach Norden und hielt auf eine Anhöhe zu, die mit Krüppelholzbüschen bewachsen war, welche ihr bis zur Hüfte reichten. Oben angekommen verharrte sie, als sie ein Rudel Wölfe auf der anderen Seite sah. Sie waren gerade erst gelandet, liefen umher und beschnüffelten und beknabberten einander, wobei sie dann und wann innehielten, um zu heulen, und dann weiterliefen. Die Landung hatte sie offensichtlich aufgekratzt zurückgelassen. Swan wusste ganz genau, wie sie sich fühlten. Sie brauchten ein Weilchen, um sich zu sammeln und Richtung Osten davonzutraben. Ihr Fell war grau, mit schwarzen oder hellbraunen Flecken, und sie wirkten anmutig in ihrem Sommerpelz. Zwar hatten sie breitere Schultern und kantigere Köpfe als die meisten Hunde, waren ihnen aber doch in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich. Wilde Hunde, selbst organisiert: Das war immer eine leicht verstörende Vorstellung. Dass es eine so glückliche Entwicklung mit ihnen genommen hatte, dass sie so gutartig und verspielt waren, überraschte Swan ein wenig und erinnerte sie daran, dass die Wölfe zuerst da gewesen waren, und dass sie weiser waren als Hunde.
    Nun lag es an Swan, mit ihnen mitzuhalten, und schon bald, nachdem sie die Verfolgung aufgenommen hatte, ächzte und schnaufte sie. Kein Mensch konnte mit Wölfen Schritt halten, die mit voller Kraft rannten, aber wenn man hartnäckig blieb, dann hielten sie oft an, um sich umzuschauen und zu schnüffeln, sodass man sie im Blick behalten oder sie einholen und erneut zum Weiterlaufen veranlassen konnte. Ein Rüde heulte, und andere antworteten ihm, darunter auch Swan. Sie musste sich etwas mehr anstrengen, wenn sie am Ball bleiben wollte. Wenn sie nicht auf der Erde war, hielt sie sich besser in Form als hier, eine kleine Ironie – sie verzog das Gesicht und gelobte Besserung.
    Die Wölfe waren neun an der Zahl. Es handelte sich um große Tiere, der Pelz überwiegend schwarz, die langen Strähnen wippten wie Menschenhaar, wenn sie rannten. Mit ihren Wolfssätzen fraßen sie die Kilometer, obwohl es nur nach einem leichten Trab aussah. Bei ihrem Anblick heulte Swan auf, ein ganzer Ozean in ihrer Brust; hier auf der Erde waren sie frei. Es war ein so tiefes Glück, dass es einem Schmerzen verursachen konnte; eine weitere Lektion, die einem die Welt erteilte.
    In dem Gelände vor ihr verschwanden die Pingos und Kessel, Weizen bedeckte das flachere Land. Der Anblick ließ die Wölfe zögern, und Swan gelang es, sich um sie herum nach Süden zu schleichen, hinter den am wei testen östlich gelegenen Pingo. Das Weizenfeld dahinter war mit einem Laser zu einer Ebene geglättet worden, die pro Kilometer etwa fünf Meter nach Westen abfiel. Das war nun wirklich Flachland – es kam ihr unwirklich vor, ein Artefakt. In gewisser Weise ein Kunstwerk. Aber das würde sich schon bald wieder ändern. Acht Kilometer Richtung Osten sah man einen neuen Pingo, der durch die Oberfläche brach, und daneben ein weiteres Stück unentwickelter Taiga – nicht trockengelegt, zur Bewirtschaftung zu sumpfig, mehr See als Land.
    Swan holte ihren Wolfspelz – die Haut eines großen, alten Rüden, an der noch Kopf und Pfoten hingen – aus dem Rucksack an ihrem Anzug. Sie zog ihn sich über den Kopf, sodass er ihr wie ein Umhang auf den Rücken hing. Sie hatte ihm goldene Ringe durch die Ohrspitzen gezogen.
    Swan umrundete das Rudel, bis sie davor war, und stimmte

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