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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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es zuließ, niedergingen. Swan hielt am Himmel nach ihnen Ausschau, und bei dem Anblick, der sich ihr bot, hätte sie sich beinahe auf den Hintern gesetzt. Sie stieß ein Jauchzen aus und lachte: Der Himmel war noch immer voller Tiere. Am westlichen Himmel sanken aus den tief hängenden Kumuluswolken Karibus und Elche und Grizzlybären herab, alles große braune Flecken mit gespreizten Beinen. All die anderen Tiere waren auch dabei, viele in Ballungen, wobei man die, die höher waren, aufgrund der Entfernung nicht erkennen konnte. Um sie herum raschelte der dichte Weizen von den Bewegungen der Geschöpfte, die aus ihren geplatzten Blasen hervorgekommen waren und hastig Deckung suchten. Es konnte sogar passieren, dass eine der Blasen auf ihr landete; sie musste sich in Acht nehmen. Swan lachte bei der Vorstellung, breitete die Arme weit aus und heulte den Wölfen am Himmel zu. Weiter weg bellten andere Wölfe. Auch Jaulen und Brüllen war zu hören, und viel davon klang angsterfüllt, obwohl sich das nur schwer mit Sicherheit sagen ließ. Es handelte sich bloß um eine Vermutung; genau genommen konnte es sich auch um Triumphgeheul handeln. Endlich daheim! »Alle Kinder Gottes sind endlich daheim«, verkündete sie über ihre Funkverbindung. Die anderen Menschen meldeten sich; sie waren gelandet. Der kühle Westwind pustete sie durch, und sie heulte noch ein wenig. Die letzten Reste ihrer Welle sanken zu Boden; dann waren die Wolken über ihnen wieder ganz unter sich. Nur einige wenige schwarze Punkte trieben noch in der Ferne, leicht wie Daunen. Alles in allem war es das Schönste, was sie jemals gesehen hatte. »Alles klar«, sagte sie mit ausgeschal tetem Funk. »Ich liebe euch. Ihr habt tolle Arbeit geleistet.« Ob sie damit Alex oder Wahram oder die Welt meinte, hätte sie nicht sagen können.
    Da stand sie nun also, in der Taiga zwischen nördlichen Wäldern und Tundra. Ab jetzt gab es hier Karibus und Grizzlybären und Berglöwen. Jedes Biom brauchte seine Raubtiere am oberen Ende der Nahrungskette, um zu gedeihen. Die Grizzlybären würden sich sofort zwischen den Hügeln verdrücken, und die Berglöwen würden nach der Landung in gleicher Weise verschwinden. Aber die Wölfe würden zueinanderfinden und sich zu weithin sichtbaren Rudeln zusammenschließen; und das wollte Swan nicht verpassen. Zeit ihres Lebens war sie in Terrarien den Wölfen gefolgt, hatte mit ihnen zusammen gejagt, sie von Beutetieren weggetrieben und sich am Rande eines Rudels, neben dem säugenden Muttertier, zum Schlafen zusammengerollt. Unzählige Male hatte sie schon mit den Wölfen geheult; und jedes Mal, wenn sie sie hörte, fiel sie mit ein, weil es ihr wie die normale menschliche Reaktion auf Wolfsgeheul erschien. Bei anderen Gelegenheiten hatte sie das lange, eindringliche Starren eines Wolfes gespürt und zurückgestarrt; sie hatte Wölfe gesehen, die mit Kojoten beratschlagt hatten, sie hatte gesehen, wie Raben sie im Tausch gegen einen Anteil zu ihrer Beute führten. Sie wusste, dass Menschen die Wölfe menschlicher gemacht hatten, und damit zu Hunden, und dass gleichzeitig die Wölfe die Menschen wölfischer gemacht hatten, indem sie ihnen Rudelverhalten beibrachten. Keine anderen Primaten hatten beispielsweise Freunde, die nicht zu ihrer Verwandtschaft gehörten; Menschen hatten das gelernt, indem sie Wölfe beobachtet hatten. Die beiden Spezies hatten zu jeweils unterschiedlichen Zeiten die Beutereste der anderen gefressen; sie hatten Jagdmethoden voneinander gelernt und sich, kurz gesagt, gemeinsam weiterentwickelt.
    Und jetzt brachten die Primaten die andere Hälfte der Familie zurück. Da stand sie nun also.
    Ihr Viererteam sollte nach Tieren suchen, die nicht richtig aus ihren Ballons herausgekommen waren und sie befreien oder ihnen beistehen, falls sie verletzt waren. Besonders oft sollte das eigentlich nicht vorkommen, aber der Boden hier war uneben und wies nicht nur Pingos auf, sondern auch Senken, die als Kessel bezeichnet wurden und sich bildeten, wenn der Eiskern eines Pingos abschmolz. Kessel waren rund, fielen steil ab und waren oft mit Wasser gefüllt, da hier der Grundwasserspiegel nur ein bis zwei Meter unter der Erdoberfläche lag. Wie überall in den Tundren und Taigas des Nordens hatte man es hier als »Anpassung« an den Klimawandel mit Weizen und genmanipuliertem Kältereis probiert, aber der Versuch hatte sich als schwieriger erwiesen als erwartet. Und so schienen Pannen bei der Landung, in diesem

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