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seine Lungen wie kalte Höhlungen in seinem Brustkorb, pulsierend und lebendig. »Komm«, sagte sie, »Wir müssen hier verschwinden, bevor die Wölfe auftauchen, um mit den armen toten Kinderchen aufzuräumen.«
»In Ordnung, wenn du mir zeigst, wie.«
»Deine Matratze dient dir als Floß. Wir haben jeder eine. Es handelt sich um eine Art Barke aus Aerogel, weshalb sie kaum sichtbar ist, aber man kann sich gut auf ihr treiben lassen. Falls du kenterst, musst du dich daran festhalten oder sehr schnell schwimmen.«
»Ich hoffe, dass ich nicht kentere.«
»Das kann ich mir vorstellen! Das Wasser hier ist eiskalt. Hier, mit dem Ast kannst du paddeln. Ich glaube, man muss so weit rausgehen, wie man sich traut, und dann einsteigen und sich stromabwärts treiben lassen und wenn möglich Richtung gegenüberliegendes Ufer paddeln. Wir müssen uns kein bisschen beeilen, weil die erste Flussbiegung stromabwärts uns ohnehin näher ans andere Ufer bringt. Folge mir einfach, du wirst schon sehen.«
Also tat er das; doch seine Barke hüpfte auf dem Wasser auf und ab, sein Floß kam ihm zu klein vor, und an der tiefsten Stelle trug ihn die Strömung an Swan vorbei, die ihn auslachte. Er paddelte angestrengt. Sie holte zu ihm auf, paddelte im Kreis und rief ihm zu: »Halt deinen Kopf unter Wasser!«
»Nein!«, rief er empört zurück, aber sie lachte und erwiderte: »Halte wenigstens ein Ohr unter Wasser, du musst das hören! Hör dir mal an, wie es unter Wasser klingt!«
Damit beugte sie sich aus ihrer Barke und tauchte für ein paar Sekunden den Kopf unter, ehe sie wieder auftauchte, laut prustend und lachend. »Probier es aus!«, befahl sie ihm. »Das musst du einfach hören!«
Also beugte er sich zögerlich vor, streckte das rechte Ohr ins wirbelnde Wasser und hielt den Atem an. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass er in ein lautes, elektrisches Knistern eingetaucht war, das ganz anders klang als alles, was er je zuvor in seinem Leben gehört hatte. Er zog sein Ohr wieder heraus, hörte das Rauschen der Welt und steckte dann seinen ganzen Kopf unter Wasser, hielt den Atem an und lauschte mit beiden Ohren dem elektrischen Knacken und Knistern. Es handelte sich wahrscheinlich um das Geräusch der Kiesel, die von der schnellen Strömung getrieben durchs Flussbett rollten.
Wahram zog den Kopf heraus und prustete wie ein Walross. Swan lachte ihm zu und schüttelte sich wie ein Hund. »Das nenne ich Musik!«, rief sie. Und dann schrammte Wahrams Barke über das seichte Ende am anderen Flussufer. Er sprang heraus, stolperte dabei jedoch und fiel hin. Mit Mühe und Not bekam er das kleine Floß zu fassen, kam planschend auf die Beine und watete an Land. Kein bisschen elegant, aber er lebte noch, und sein Ganzkörperanzug hielt ihn warm und trocken – das war Überlegenheit durch Technik. Damit waren sie am anderen Ufer.
Swan entdeckte eine Anhöhe beim Fluss, und sie schlugen ihr Zelt kurz vor Einbruch der Dunkelheit auf. Es handelte sich um eine einteilige, große durchsichtige Hülle, die elastisch über ebenfalls durchsichtige Zeltstangen gespannt war. Ihre Flöße dienten ihnen als Betten. Sie saßen draußen vor dem Zelteingang, und Swan kochte ihnen erst eine Suppe aus irgendeinem Pulver und anschließend Pasta mit Pesto und Gorgonzolasoße. Zum Nachtisch gab es dann noch Schokolade und eine kleine Flasche Cognac.
Als sie mit dem Essen fertig waren, herrschte noch immer Zwielicht, obwohl die Sonne bereits vor einer Stunde untergegangen war. Das Zelt flatterte im Wind, und das laute Rauschen und Glucksen des Flusses über den Kieseln stieg vom Boden empor und erfüllte die Luft. Sie waren seit achtzehn Stunden ohne Unterbrechung unterwegs, und als Swan sagte: »Schlafenszeit«, nickte Wahram und gähnte. Die Schlafsäcke, die sie aus ihren Rucksäcken zogen, waren ebenfalls aus Aerogel und ähnelten den Matratzenflößen und dem Material, aus dem ihr Zelt bestand, und genaugenommen auch den Blasen, in denen sie herabgesunken waren – alles Aerogelmaterialien, fast unsichtbar, nachgiebig, warm. »Trotzdem werden wir frieren, wenn wir nicht zusammen schlafen«, sagte Swan, kroch neben ihn in seinen Schlafsack und zog dann beide Schlafsäcke über sie.
»Ah ja«, sagte Wahram. »Da bin ich mir sicher.«
Im Halbdunkel konnte er sich ein Lächeln erlauben. Doch sie ertappte ihn dabei, indem sie ihn küsste.
»Was denn?«, fragte sie.
»Nichts.«
Sie wälzte sich auf ihn, und ihr gemeinsames Gewicht führte dazu,
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