2312
Vielleicht war der Tod eine Illusion, vielleicht lebten diese Muster bis in alle Ewigkeit, Musik und Gefühle, die durch ein Universum nach dem anderen trieben, auf den Schwingen flüchtiger Vögel.
»Seit dem Tunnel«, sagte sie zu ihm, als er zu pfeifen aufgehört hatte, »haben wir eine Beziehung.«
»Mmm«, sagte er, was Zustimmung bedeuten konnte oder auch nicht.
»Meinst du nicht?«, wollte sie wissen.
»Doch, schon.«
»Wenn wir einander nicht hätten begegnen wollen, hätten wir uns aus dem Weg gehen können. Aber das wollten wir anscheinend gar nicht. Wir wollten …«
»Hmm«, erwiderte er ausweichend.
»Was meinst du damit? Willst du es abstreiten?«
»Nein.«
»Was meinst du dann damit?«
»Ich meine«, sagte er bedächtig, hielt inne und schien dann mit einem Mal keine Lust mehr zum Reden zu haben. Durch sein Visier sah sie, dass er nun endlich zu ihr schaute und nicht länger zu den Sternen dort draußen, und das erschien ihr wie ein gutes Zeichen, aber es beunruhigte sie zugleich, weil sein Blick so ernst und durchdringend war. Diese Tauchgänge in die Tiefen des Bewusstseins waren Amphibienarbeit, die ihre Kröte auf ihre schweigsam zerstreute Art erledigte.
»Ich bin gerne mit dir zusammen«, fuhr er fort. »Es kommt mir so vor, als wären die Dinge interessanter, wenn ich mit dir zusammen bin.« Er schaute sie weiter an. »Ich pfeife gerne mit dir. Unsere gemeinsame Zeit im Tunnel war schön.«
»Die fandest du schön?«
»Aber natürlich. Das weißt du doch.«
»Nein«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was ich weiß oder nicht weiß. Das ist Teil meines Problems.«
»Ich liebe dich«, sagte er.
»Aber natürlich«, sagte sie. »Ich habe dich auch lieb.«
»Nein, nein«, erwiderte er. »Ich liebe dich.«
»Ich verstehe!«, sagte sie. »Aber ach je … ich bin mir nicht sicher, ob ich weiß, was du meinst.«
Er lächelte sein kleinstes Lächeln. Es war so klein und blieb beinahe hinter seinem Visier verborgen, aber es erschien nur auf seinem Gesicht, wenn ihn etwas wirklich belustigte. Es war nie bloß eine höfliche Geste. Wenn er höflich sein wollte, dann schaute er finster drein.
»Ich weiß auch nicht, was ich meine«, antwortete er. »Aber ich sage es trotzdem. Dass ich es zu dir sagen will – diese Art Liebe ist das.«
»Oh-oh«, sagte sie. »Hör mal, das ist doch verrücktes Gerede. Dein Bein ist gefroren, und du hast sicher einen Schock. Dein Anzug hat dich mit allem möglichen Zeug vollgepumpt.«
»Da hast du höchstwahrscheinlich recht«, räumte er ein wenig verträumt ein. »Trotzdem, das gestattet es mir nur zu sagen, was ich wirklich empfinde. Sagen wir mal aufgrund einer gewissen Dringlichkeit.«
Er lächelte erneut, wenn auch nur kurz. Er beobachtete sie wie … tja, sie wusste nicht wie was. Es war kein Falkenblick, und ganz und gar nicht der lange Blick eines Wolfs. Eher handelte es sich um einen neugierigen, interessierten Blick – einen fragenden Froschblick, als wollte er gerne wissen, was für ein Geschöpf sie war. Robot? Limit? Räuber? Robert?
Tja, sie wusste es nicht. Sie konnte es ihm nicht sagen. Ihre Kröte sah sie an, mit Augen wie Kugeln aus Jaspis in seinem Kopf. Sie musterte ihn: so langsam, so sehr er selbst, so in sich geschlossen, mit seinen Ritualen … falls das stimmte. Sie versuchte, alles, was sie jemals an ihm wahrgenommen hatte, zu einem einzigen Satz oder einer einzigen Charakterisierung zusammenzufassen, doch es funktionierte nicht; er blieb ein Gewirr von Einzelteilen, von kleinen Begebenheiten und Gefühlen, und dann war da ihr großes Zusammensein, das auch ein Gewirr war, und verwischt. Aber interessant! Das war der Kern der Sache, vielleicht auch dieses Wort, das er benutzt hatte. Er interessierte sie. Sie fühlte sich von ihm angezogen wie von einem Kunstwerk oder einer Landschaft. Er hatte ein sicheres Gefühl für sein Handeln; er zog eine saubere Grenze. Er zeigte ihr neue Dinge, aber auch neue Gefühle. Ach, gelassen zu sein! Ach, aufmerksam zu sein! Er verblüffte sie mit diesen Qualitäten.
»Hmm, tja, ich liebe dich auch«, sagte sie. »Wir haben eine Menge zusammen durchgemacht. Lass mich darüber nachdenken. Ich habe nicht in der Weise darüber nachgedacht, die du anzudeuten scheinst.«
»Ein Vorschlag«, schlug er vor.
»Na schön, also gut dann. Ich denke darüber nach, was es bedeutet.«
»Sehr gut.« Einmal mehr lächelte er sein kleines Lächeln.
Sie trieben in der weiß überzogenen Schwärze.
Weitere Kostenlose Bücher