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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Kanäle darunter fast den ganzen Tag über im Schatten lagen. Wenn das Sonnenlicht durch die Spalten dazwischen fiel, verlieh es den Dingen einen bronzefarbenen Glanz, und das blaue Wasser wurde metallisch weiß. Den Einwohnern New Yorks schien dieser Effekt nicht aufzufallen, aber andererseits lebten hier trotz der Wasser zwanzig Millionen Menschen, und Swan vermutete, dass die Schönheit dieses Orts dabei keine völlig unwesentliche Rolle spielte, auch wenn die Leute anscheinend lieber nicht darüber redeten. Der Gedanke daran, wie abgebrüht die Leute hier sich wahrscheinlich vorkamen, brachte sie zum Lachen. Swan war nicht abgebrüht, und sie stammte auch nicht aus New York, dieser Ort war einfach erstaunlich, und sie wusste, dass dessen Bewohnern das sehr wohl auch bewusst war. Wenn das mal keine Landschaftskunst war! »Die Geografie der Welt, allein durch menschliche Logik und Optik vereint«, sang sie, »durch kunstvollen Lichteinfall und Farbwahl, durch gefällige Anordnung, durch die Vorstellung vom Guten, Wahren und Schönen!« Man hätte Lowenthals ganzes Oratio auf den Laufstegen Manhattans singen können, ohne dass sich jemand darum geschert hätte.
    Sie ging so viel wie möglich in der Sonne. Das waren die unmittelbaren Strahlen Sols, die auf ihre nackte Haut knallten. Es war erstaunlich, dass man im Licht der Sonne stehen konnte, ohne dabei umzukommen. Dies war der einzige Ort im Sonnensystems, wo das möglich war. Die Biohülle um einen Stern herum war dünn wie eine Seifenblase. Diese Blase des Lebens dicker zu machen – vielleicht war das das menschliche Projekt. Dass sie die Blase bis um den Mars herum ausgedehnt hatten, war bereits bemerkenswert. Wenn es ihnen gelang, sie nach innen bis zur Venus zu strecken, wäre das sogar noch bemerkenswerter. Doch die Erde würde immer der perfekte Ort bleiben. Kein Wunder, dass diese alte Welt so viele Geheimnisse bereithielt, dass all die Wechselfälle des Lebens so atemberaubend wirkten. Metamorphosen passten zur Erde, und sie ereigneten sich unablässig. Die große Flut war ein Sturz gewesen, der sich als Glücksfall erwiesen hatte, sie hatte zur Entfaltung auf einer höheren Ebene geführt. Die Welt war gegossen worden. Blüten sprossen aus dem Blätterzweig. Sie war zurück.
    Das Merkur-Haus war unten beim Museum of Modern Art. Viele der Gemälde aus dem Museum befanden sich nun auf dem Merkur, und man hatte nur Kopien zurückgelassen. In einer ungewöhnlichen Geste hatte man hier einen Ausstellungsraum der Kunst vom Merkur gewidmet. Natürlich war die Gruppe der Neun prominent vertreten. Für Swans Geschmack war es ein bisschen zu viel Sonne und Felsgestein. Und sie hatte den Einsatz von Leinwand als Medium seit jeher seltsam gefunden. Es war ein bisschen, wie wenn man sich Elfenbeinschnitzereien oder andere antike Exotika ansah. Wenn man die Welt und seinen Leib als Leinwand hatte, warum sollte man sich dann mit Tapetenstückchen zufriedengeben? Das war wirklich eigenartig, aber im Endergebnis deshalb vielleicht ebenso interessant. Alex und Mqaret hatten einmal einen Empfang für die Neun abgehalten, und Swan hatte viele von ihnen kennengelernt und sich gerne mit ihnen unterhalten.
    Oben auf der Dachterrasse des Merkur-Hauses, etwa dreißig Stockwerke über dem Wasserspiegel, traf sie eine Gruppe von Merkurianern an der Bar an. Die meisten trugen Exoskelette oder Leibhalter, was Swan selbst dort, wo sie durch Kleidung verdeckt waren, an der Art erkannte, wie ihre Träger standen, lässig und leicht zur Seite geneigt, wie im Wasser. Diejenigen ohne solche Stützen standen mehr oder weniger tapfer stramm und trugen die Last der Erde mit angestrengten Mienen. Swan selbst ging es ähnlich. Man konnte machen, was man wollte, die Belastung von 1 g machte einem erst einmal zu schaffen.
    Das New Yorker Büro wurde von einem uralten Terraner namens Milan geleitet, der für jeden ein herzallerliebstes Lächeln übrig hatte. »Swan, mein Schatz, wie lieb von dir, dass du vorbeikommst.«
    »Ach, es ist mir ein Vergnügen, ich liebe New York.«
    »Gesegnete Unwissenheit, mein Kind. Ich bin froh, dass es dir gefällt. Und ich bin froh, dass du hier bist. Komm, ich will dich ein paar von meinen Neuen vorstellen.«
    Und so lernte Swan einige Angehörige des örtlichen Teams kennen, ließ ihre Beileidsbekundungen wegen Alex über sich ergehen und gab einen kurzen, ungenauen Bericht über ihre Reise zum Jupiter ab. Die Leute hatten eine Idee nach der anderen zum Thema

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