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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Fesseln befreit, kaum bekleidet auf der nackten Oberfläche eines Planeten liegen und seine Atmosphäre trinken wie ein Lebenselixier, in der Brust spüren, wie sie einen am Leben hielt! Kein Terraner, der ihr jemals begegnet war, wusste die Luft wirklich zu schätzen oder sah seinen Himmel in seiner ganzen Pracht. Tatsächlich schauten sie nur selten zu ihm empor.
    Sie sammelte sich und ging zum Hafen. Eine große, brummende Wasserfähre nahm sie und zahlreiche andere an Bord, und nachdem sie sich ihren Weg durch einen überfüllten Kanal gebahnt hatte, waren sie schließlich auf dem Hudson River und fuhren Richtung Manhattan. Die Fähre machte einen Zwischenhalt bei den Washington Heights, aber Swan blieb an Bord, während sie sich weiter Richtung Innenstadt durch den Hudson River pflügte. Einige Teile Manhattans befanden sich noch über Wasser, aber der Großteil war überflutet. Die ehemaligen Straßen waren zu Kanälen geworden, und die Stadt hatte sich in ein langgestrecktes Venedig verwandelt, ein Wolkenkratzer-Venedig, ein Riesenvenedig – also in etwas sehr Schönes. Tatsächlich war es mittlerweile ein abgeschmacktes Klischee zu betonen, dass die Stadt durch die Überflutung aufgewertet worden sei. Die lange Reihe von Wolkenkratzern sah aus wie die Wirbelsäule eines Drachen. Die perspektivische Verkürzung ließ die Gebäude beim Näherkommen kleiner erscheinen, als sie es wirklich waren, aber trotzdem war ihre schiere Vertikalität beeindruckend. Ein Wald von Dolmen!
    Am Pier an der 30 th Street ging Swan von Bord und über den breiten Laufsteg zwischen den Gebäuden zum ausgebauten High-Line-Park mit seinen sich weit nach Norden und Süden erstreckenden Plätzen voller Menschen. Manhattan zu Fuß: Arbeiter schoben ihre kleinen Handkarren durch das Gedränge auf den Hochwegen zwischen den inselartigen Wohnvierteln, die in verschiedenen Höhen zwischen den Wolkenkratzern hingen. Die Dächer waren begrünt, aber in erster Linie bestand die Stadt aus Stahl, Beton und Glas – und Meer. Boote kräuselten das Wasser unter den Laufstegen und in den Straßen, die nun viel befahrene Kanäle waren. All die höher gelegenen Plätze und Laufstege waren voll dicht gedrängter Menschen. Manhattan war so überfüllt wie eh und je, hieß es. Swan wich den Menschen in der Menge aus, schlängelte sich zwischen den beiden Laufrichtungen hin und her und erfreute sich an den zahllosen Gesichtern. Sie waren ebenso vielfältig wie eine beliebige Ansammlung von Raumern, nur ihre Größe entsprach weit mehr dem Durchschnitt – der übrigens eher klein war –, und es waren nur wenige Kleine und Große zu sehen. Asiatische Gesichter, afrikanische, europäische – alles außer amerikanischen Ureinwohnern, wie es ihr in Manhattan immer wieder auffiel. Wenn das mal keine biologische Invasion war!
    Ein Gebäude, an dem sie vorbeikam, hatte das alte Erdgeschoss leergepumpt und verwendete es nun als eine Art große Badewanne voll Luft. Sie hatte gehört, dass der Markt für unterseeische und Gezeitenbereichs-Grundstücke boomte. Man redete sogar davon, das U-Bahn-Netz leerzupumpen, das dort, wo es überirdisch verlief, immer noch funktionierte. Das Glucksen des Wassers unter ihr bildete eine allgegenwärtige Geräuschkulisse. Menschliche Stimmen und die Geräusche des Wassers, die Schreie der Möwen am Hafen und das Rauschen des Windes zwischen den Gebäudeschluchten; so klang die Stadt. Das Wasser unter ihr war von zahlreichen einander überschneidenden Kielwasserbahnen aufgewühlt. Hinter ihr, die Straße entlang Richtung Westen, tanzten kleine Flocken von Sonnenlicht über den großen Fluss. Das liebte sie an der Erde – sie war draußen, wirklich im Freien. Sie stand auf der Oberfläche eines Planeten. In der tollsten Stadt, die es gab.
    Sie sprang ein paar Stufen hinunter und stieg in ein Vaporetto, das die 8 th Avenue entlangtuckerte. Die Fähre war lang und lag tief im Wasser. An Bord gab es Sitzplätze für etwa fünfzig Personen und Stehplätze für weitere hundert. Alle paar Häuserblocks hielt sie. Swan beugte sich über die Reling und schaute auf den Kanal hinab: ein Fluss am Grunde einer Schlucht, links und rechts Gebäude statt Felswände. Sehr futuristisch. Dort, wo die 26 th Street von einer langen Promenade überspannt wurde, die sich bis hinüber zum East River erstreckte, stieg sie aus. Ein Großteil der von Osten nach Westen verlaufenden Straßen hatten derartige Hochplattformen, sodass die geschäftigen

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