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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Akhnaten sowie einen zermürbenden Tanzkurs zu besuchen, der darauf ausgelegt war, die Leute für die 1 g-Umgebung zu trainieren und der ihr ganz schön zusetzte. Während sie durch den durchsichtigen Boden hinabschaute, machte sie sich langsam wieder mit dem großen Tropfen Südamerika vertraut, der unter ihnen Gestalt annahm: die blauen Ozeane, die ihn umgaben; die Anden, die wie ein braunes Rückgrat aussahen; die kleinen, braunen, schneefreien Kegel, bei denen es sich um große Vulkane handelte.
    Der Planet war inzwischen praktisch frei von Eis. Nur die Antarktis und Grönland hatten sich noch nennenswerte Mengen davon bewahrt, und Grönland schwand schnell dahin. Deshalb lag der Meeresspiegel mittlerweile elf Meter höher als vor dem Wandel. Die Überflutung der Küstenbereiche war einer der Hauptfaktoren der irdischen Katastrophe der Menschheit. Auf anderen Planeten gab es enorm leistungsstarke Terraforming-Technologien, die hier jedoch größtenteils nicht anwendbar waren. Man konnte beispielsweise keine Kometen auf die Erde pfeffern. Also wurde das Kielwasser der Schiffe mit Tensiden aufgeschäumt, um den Albedo-Effekt zu verstärken. Früher hatte man auch Schwefeldioxid in die Stratosphäre gepumpt, um Vulkanausbrüche zu simulieren; aber das hatte bereits einmal zu einer Katastrophe geführt, und nun konnte man sich nicht mehr einigen, wie viel Sonnenlicht man aussperren sollte. Viele Vorschläge und viele der kleineren Projekte, die bereits im Gange waren im Widerspruch zu anderen potenziellen oder bereits laufenden Projekten. Außerdem gab es nach wie vor mächtige Nationalstaaten, die zugleich Firmenkonglomerate waren – beides überlappte einander in keynesianischer Unordnung. Die nach wie vor einflussreichen Reste des kapitalistischen Systems herrschten über weite Teile des Planeten und bewahrten wiederum ihre feudalistischen Altlasten in sich, im ewigen Kampf gegen die Lohnsklaven begriffen und damit auch gegen die horizontalisierte Ökonomie, die sich mit dem Mondragon entwickelt hatte. Die Erde war ein einziger Schlamassel, ein trauriger Ort. Und trotzdem war sie nach wie vor das Herzstück der Geschichte. Man musste sich mit ihr auseinandersetzen, hatte Alex immer gesagt, denn ohne sie war nichts, was man im All tat, wirklich von Bedeutung.
    In Quito angekommen fuhr Swan mit der Bahn zum Flughafen und ging an Bord einer Maschine nach New York. Die Karibik leuchtete kobalt-, türkis- und jadefarben; selbst die braunen Umrisse der versunkenen Halbinsel Florida unter der Meeresoberfläche schimmerten jaspisfarben. Der atemberaubende Glanz der Erde.
    Ein eher stahlfarbener Ozean brandete weiß gegen Long Island, als sie zu einem ruckelnden Landeanflug ansetzten. Dann setzten sie auf einer Landebahn irgendwo auf dem Festland nördlich von Manhattan auf, und endlich war Swan raus aus all den Reisebehältnissen, den Innenräumen und Transportmitteln und Fluren und Korridoren und unter freiem Himmel.
    Einfach nur draußen in der freien Luft zu sein, unter dem Himmel, im Wind – das war es, was sie an der Erde am meisten liebte. Heute ballten sich in etwa dreihundert Metern Höhe dicke Wolken über ihrem Kopf. Anscheinend wogte soeben eine marine Wetterlage heran. Sie rannte auf eine Art gepflasterten Parkplatz voller Laster und Busse und Anhänger hinaus, sprang umher, schrie zum Himmel empor, sank auf die Knie und küsste den Boden, stieß Wolfsgeheul aus und legte sich schließlich, nachdem sie ein wenig hyperventiliert hatte, mit dem Rücken auf den Boden. Auf einen Handstand verzichtete sie – vor langer Zeit schon hatte sie gelernt, dass es auf der Erde wirklich schwer war, einen Handstand hinzubekommen. Außerdem tat ihr noch die Rippe weh.
    Durch die Lücken in der Wolkendecke konnte sie das feine, aber dunkle Blau des Erdenhimmels sehen, leicht und kräftig zugleich. Er wirkte wie eine blaue, in der Mitte abgeflachte Kuppel, die ein paar Kilometer über den Wolken schwebte – sie streckte die Hand danach aus –, obwohl sie wusste, dass seine Pracht einzig und allein von einer Art Regenbogeneffekt herrührte. Ein Regenbogen, der überall blau war und alles einhüllte. Das Blau selbst war eine komplexe Farbe, von geringer Bandbreite, aber innerhalb dieser Bandbreite unendlich vielfältig. Es war ein berauschender Anblick, den man regelrecht aufsaugen konnte – man tat das unweigerlich, man atmete ihn ein. Der Wind trieb ihn einem in die Lungen! Atmen und sich berauschen, o ja, von allen

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