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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Aufstehen und Weitergehen war, machten die jungen Wilden sich mit einem beinahe verlegenen Nicken und Winken schon wieder davon. Also verbrachte er den Großteil seiner Zeit mit Swan.
    Offenbar war sie nicht besonders glücklich mit dieser Wanderung, obwohl es ihre Idee gewesen war. Doch die Alternative war wohl in ihren Augen noch schlimmer, und man musste sie einfach in stummem oder beredtem Elend ertragen. An manchen Tagen ging sie vor, an anderen fiel sie zurück. »Irgendwann wird mir schlecht werden«, sagte sie einmal. Wahram wurde klar, dass ihr die Lage noch weniger gefiel als ihm – weit weniger als ihm, und das sagte sie ihm auch. Es war abscheulich hier unten, erklärte sie ihm; sie litt an Klaustrophobie; sie ertrug es nicht, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten; sie brauchte täglich große Mengen Sonnenlicht; und sie brauchte viel Abwechslung und neue Eindrücke bei ihren täglichen Verrichtungen. All das war für sie unabdingbar , und das sagte sie Wahram ziemlich deutlich. »Es ist alles so grauenhaft«, rief sie oft aus, wobei sie die drei Silben des letzten Worts jeweils einzeln betonte, um ihm Nachdruck zu verleihen. »Grauenhaft, grauenhaft, grauenhaft. Ich halte das einfach nicht aus.«
    »Lass uns von etwas anderem reden«, schlug Wahram dann meistens vor.
    »Wie denn bitte? Es ist grau-en-haft.«
    Trotzdem war nur die jeweils erste Stunde ihrer einschließlich Pausen zwölfstündigen Tagesmärsche von Swans endloser Wiederholung dieser Feststellung angefüllt. Danach befand Wahram es normalerweise für angemessen, darauf hinzuweisen, dass sie über etwas anderes reden mussten, wenn sie unnötige Belastungen auf beiden Seiten vermeiden wollten.
    »Bist du mich schon leid?«, schlussfolgerte Swan aus dieser Feststellung.
    »Ganz und gar nicht. Ich fühle mich hervorragend unterhalten. Es ist interessant mit dir. Aber dieses Motiv einer ebenso unglückseligen wie unvermeidlichen Reise ist begrenzt. Es gibt nichts Neues mehr aus ihm herauszuholen. Ich will eine andere Geschichte hören.«
    »Da hast du ja Glück, ich wollte nämlich gerade das Thema wechseln.«
    »Das ist tatsächlich ein Glück.«
    Sie trottete vor ihm her. Es gab keinen Grund, sich mit der Fortsetzung ihres Gesprächs zu beeilen: Sie hatten den ganzen Tag lang Zeit. Wahram beobachtete, wie sie vor ihm herging: Ihre Schritte waren elegant und ausgreifend, sie war in ihrer heimatlichen Schwerkraft und bewegte sich geschmeidig, effizient. Innerhalb kurzer Zeit konnte sie einen großen Vorsprung vor ihm gewinnen. Bislang wirkte sie nicht krank. Manchmal hörte er, wie sie sich mit ihrem Qube unterhielt. Aus irgendeinem Grund hatte sie Paulines Stimme so eingestellt, dass man sie auch von außen hören konnte; vielleicht wollte sie ihr kleines Versprechen ihm gegenüber halten. Die Unterhaltungen zwischen den beiden klangen fast immer nach Streit. Swans Tonfall war bestimmt und einschüchternd, aber Paulines durch Swans Haut leicht gedämpfte Alt-Stimme klang ebenfalls auf eine störrische Art streitlustig. Je nachdem, wie man sie programmierte, konnten Qubes zähe Diskussionsgegner sein, Wortklauber erster Güte. Einmal konnte Wahram eine Unterhaltung belauschen, die wohl schon seit einer Weile lief. Swan sagte gerade: »Arme Pauline, an deiner Stelle wäre ich wirklich traurig! Du tust mir ja so leid! Es muss sich schrecklich anfühlen, nur ein Paket von Algorithmen zu sein!«
    Pauline sagte: »Das ist das rhetorische Mittel namens Anacoenosis, bei der man so tut, als wäre man anstelle seines Gegners.«
    »Nein, überhaupt nicht«, versicherte ihr Swan. »Ich fühle wirklich mit dir. Nur aus so ein paar Qubits zu bestehen, nur aus einer Folge von Algorithmen. In Anbetracht dessen machst du dich eigentlich recht gut.«
    Pauline sagte: »Das ist das rhetorische Mittel namens Synchoresis, bei dem man ein Zugeständnis macht, um dann gleich wieder zum Angriff überzugehen.«
    »Vielleicht hast du recht. Ich weiß gar nicht, warum ich dich für dumm gehalten habe, obwohl du doch so machtvolle Argumente hast. Aber trotzdem …«
    »Das ist eine Kombination von Sarkasmus und Aporie in dem negativen Sinne, den ich bereits zuvor erwähnte, ein Moment des Zweifels, oft vorgetäuscht, der einer erneuten Attacke vorausgeht.«
    »Und diese Verteidigung bezeichnet man als Kasuistik, bei der man sich, wenn man nichts zu sagen hat, in eine Wolke von Geschwätz zurückzieht. Vielleicht hast du ja recht , vielleicht geht es einfach nur um

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