234 - Das Drachennest
weiter? Warte!« Er hob die Rechte. »Lass mich raten: Ihr habt versucht, nachzuholen, was die Seuche nicht geschafft hat: euch gegenseitig auszurotten.«
»Nein«, log Agat’ol. »Der Krieg eskalierte zwar, doch nur deswegen, weil eine große Zelle von Mar’oskriegern unter der Führung zweier Geistwanderer eine ganze Stadt zwang, zum Mar’os-Kult überzutreten.«
»Wie sollte man eine Stadt voller angeblich friedfertiger Individuen in ein Nest von blutrünstigen Mördern verwandeln können?«
»Indem man sie zwingt, Fisch zu essen.«
»Aha, die berüchtigte Tantrondrüse.« Crow grinste spöttisch.
»So ist es.« Es gelang Agat’ol, seine aufsteigende Wut zu unterdrücken. Nur sein Scheitelflossenkamm spreizte sich ein wenig und nahm eine rötlichblaue Färbung an. »Der Große Eid’on übernahm die Herrschaft«, sagte er knapp. »Er machte den Streitigkeiten ein rasches Ende. Unter ihm setzte eine neue Blütezeit unserer großen Kultur ein.«
Das war natürlich nur die halbe Wahrheit. Aber was ging es diesen gerissenen, widerwärtigen Lungenatmer an, dass die Hydriten sich damals in einer Jahrtausende dauernden Kriegszeit zerfleischten? Die Lange Finsternis nannte das »Neue Buch der Chronik« diese Achte Kriegszeit in der Geschichte der Hydriten. Erst 14.603 Umläufe nach der Großen Verdampfung besiegte das Heer des alten Städtebundes unter dem Hohen Eid’on die Abtrünnigen und ihre Verbündeten vom Mar’os-Kult bei den Fischweiden von Pozai’don’not und beendet so die Lange Finsternis. Danach rief man Eid’on zum Herrscher der Meere aus, und alle neunzehn Hydritenstädte, die damals existierten, unterwarfen sich seiner Regierung. All das behielt Agat’ol für sich. (Ihr aber könnt es nachlesen: im MX-Hardcover 21 »Jagd durch die Zeiten«)
Der Gleiter flog nun dicht über die Brandung hinweg und erreichte den Sandstrand. »Ich lande hier an der Felsküste. Die Küste auf der anderen Seite mag idyllisch und grün sein, doch dafür sind wir in dieser kargen Gegend sicherer vor ungebetenen Gästen. Für die Operation brauchen wir absolute Ruhe.«
Agat’ol hatte keine genaue Vorstellung vom Unterschlupf der Hydriten, die er als Verbündete gewinnen wollte. Crow hatte einfach diejenige Insel des Atolls als Landeplatz gewählt, die als erste auf dem Kurs des Gleiters lag. Der schwarz-rot gescheckte Hydrit konnte nur hoffen, dass er schnell auf Angehörige seiner Gattung treffen würde. Er brauchte nur einen unverfänglichen Grund, um Crow und den Gleiter zu verlassen.
»Nicht operieren…« Hagenaus Gejammer riss ihn aus seinen Gedanken. »Lasst mich doch einfach sterben…« Er flüsterte nurmehr, seine Lider und Lippen bebten.
»Ich brauche Sie noch, Hagenau, also werden Sie den Teufel tun, zu sterben«, sagte Crow barsch. Er ging in eine Linksschleife und steuerte eine Schneise in den Felshängen an. »Wir landen nicht direkt am Strand. Die Schneise scheint von einer ehemaligen Flussmündung zu stammen. Dahinter, in dem Tal, haben wir ein wenig Deckung.«
»Vielleicht ist eine Operation gar nicht notwendig«, schlug Agat’ol vor. »Ich kenne da eine Heilalge, die wirkt Wunder gegen innere Entzündungen…«
»Nein!« Mit strenger Miene fixierte Crow den Navigationsmonitor. Ein weites Felstal öffnete sich vor dem Gleiter. »Er wird operiert!«
»Bitte, General…«, flehte Hagenau. Crow reagierte nicht. Am Fuß eines Felshanges setzte er den Gleiter auf. »Bitte – ich habe wirklich tierische Schmerzen…«
»Ihnen wird gleich geholfen.« Crow drehte seinen Sessel um und sah Agat’ol ins schuppige Gesicht. »Eines will mir immer noch nicht ganz in den Kopf, Agat’ol – du gehörst zu den friedfertigen Hydriten, zu den Schülern dieses Gilam’esh, und sorgst dennoch dafür, dass eine schreckliche Waffe wie der Flächenräumer in die Hände eines Menschen gerät?« Der General griff in eine seiner Hosentaschen und holte den Datenkristall hervor, den er an sich genommen hatte. Auf ihm waren alle Daten des Flächenräumers gespeichert. Leider aber nicht die Koordinaten des Waffenstützpunktes am Südpol. Er würde den Pol also direkt anfliegen und dort mit der Suche beginnen müssen. »Warum tust du das? Erkläre es mir noch einmal!«
»Ich bin ein großer Verehrer Ihrer Gattung, General. So einfach ist das.«
»Ein Freund der Menschen also, aha.« Ein lauerndes Lächeln trat in Crows harte Züge.
Agat’ol fühlte sich durchschaut. »Ich habe lange Zeit unter den Menschen
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