2352 - Griff nach Drorah
Augenblick, in dem er sich völlig privat geben durfte, war vorüber. Er musste zurückkehren in die stählerne Orchidee der Solaren Residenz zu seinen Freunden, ins Zentrum aller, womöglich noch schlimmerer Informationen, und dort würde er das tun, was von ihm erwartet wurde: Tatkraft zeigen und Optimismus verbreiten.
Als er den Raum verließ, fiel sein letzter Blick auf das Hologramm der schönen Arkonidin, deren feines Haar in einer unmerklichen Brise wehte.
Kämpfe, kleiner Barbar einer unbedeutenden Welt im äußersten Winkel des Imperiums, schien Thora ihm zuzurufen, nur halb spöttisch. Zeig es ihnen, wie du es allen gezeigt hast. Wahre deine Ehre und behaupte deinen Platz in der Galaxis!
Dann war er fort, und Stille kehrte wieder ein in den Bungalow am Goshun-See, der erneut in die atemlose Stille verfiel, in der er jedes Mal auf die Rückkehr seines Eigentümers wartete
1.
Akon-System, 26. Juli 1345 NGZ; Hauptstadt, um Mittag, nahe dem Impuri-Turm am Rand des Stadtbezirks Konar-Kon-Isir: Über dem Turm, einem der höchsten zivil genutzten Gebäude des Hauptstadt Konar, schwebte reglos und bedrohlich wie eine seltsam geformte Gewitterwolke der Diskus eines Traitanks.
In allen Teilen der 35-Millionen-Stadt an der Konar-Bucht standen Bewohner und betrachteten irritiert, voll böser Ahnungen, neugierig oder in stummer Verzweiflung die Vorgänge. Vor etwa zwei Stunden waren die schlangengesichtigen Soldaten der Terminalen Kolonne in den Turm eingedrungen und hatten begonnen, ihn mit Waffengewalt zu räumen. Zu den Wartenden und Schaulustigen kamen die vertriebenen Bewohner des riesigen Gebäudes, das einem Bündel schlanker hoher Röhren mit unterschiedlichen Durchmessern und Höhen glich, die von Sendemasten, allegorischen Figuren und rotierenden Kunstwerken gekrönt waren.
Die Morgensonne spiegelte sich in verwirrenden Mustern in den stählernen und gläsernen Fassadenteilen dieses Wahrzeichens, das selbst die Spitzkuppel des Ratspalasts überragte. Über die riesige Hauptstadt Drorahs hatte sich in diesen Stunden eine ungewöhnliche Stille gelegt, die ebenso bedrohlich wirkte wie der einzelne lauernde Traitank.
Sie war Ausdruck der erzwungenen Lethargie, die ganz Konar und Drorah und das System befallen hatte. Jegliche Kommunikation zwischen den Welten und Stützpunkten war ebenso untersagt wie jeder Start eines Schiffs; woher und wohin auch immer. Die Bereiche des täglichen Lebens waren den wenigsten Einschränkungen unterworfen. Viele Einrichtungen und Verwaltungen der untersten und mittleren Ebene arbeiteten nur dank der Eigeninitiative der Funktionsträger mehr oder weniger unbelästigt, wenngleich lückenhaft. Preise und Dienstleistungen unterlagen einer schwer verstehbaren Willkür: das eine war unerschwinglich geworden, das andere kostete so gut wie nichts.
Vom Restaurantdach des Einkaufscenters reichte der Blick ohne Hindernisse zum Turm und zur Antennenspitze des Ratspalastes mit dem Dunklen Obelisken.
Solina saß neben Jere an einem Tischchen.
Sie hatten halb geleerte Gläser vor sich.
Der Wirt des Restaurants hatte sich vor einem Monat im Getränkelager erhängt; die Bedienung bewegte sich gleichgültig und schien die Programmierung der Hilfsroboter nicht zu beherrschen.
Trotzdem war der hagere Exkapitän seine Bestellung losgeworden. „Sieh genau zu, Solina", sagte Jere leise und blies auf den Schaum seines Bieres.
Der ehemalige Maphan, dessen Bewegungen ebenso lässig waren wie seine Kleidung, unterdrückte ein Schaudern. „Es ist einmalig. Wir erleben den Anfang vom Untergang Akons mit."
Die Historikerin wandte den Blick von den Vorgängen am Turm, versuchte mit großen, graugrünen Augen in tan Baloys bitterem Gesicht zu lesen und zuckte dann mit den Schultern. „Niemand begreift wirklich, was hier passiert."
„Es passiert nicht nur hier, und viele haben es begriffen - und auf ihre Art reagiert", murmelte der Exchef der LAS-TOÓR, die zusammen mit einigen hundert der Raumflotte ohne Flugauftrag auf dem Galtos-Raumhafen stand. „Wir jedenfalls sind arbeitslos. Sämtlicher Funktionen enthoben. Nutzlos."
Er legte seine auffallend große Hand beruhigend auf die seidenbraune Haut ihres Unterarms; seine langen, schmalen Finger zitterten nicht und vermittelten der Historikerin die innere Ruhe des 80-Jährigen. Ton Baloys Agoraphobie, seine Furcht vor offenen Flächen, schien in den vergangenen Stunden gegenstandslos geworden zu sein.
Die Usurpation seitens der Kolonne
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