2358 - Pilot der Chaotarchen
er: „Einen."
„Einen einzigen? Ich dachte, die XIX.
Kosmität existiert seit sehr langer Zeit?"
„Das widerspricht sich nicht. In der Hyperraumblase herrschen eigene Gesetze.
Draußen ist seither freilich geraume Zeit vergangen."
„Verstehe. Dieser Student - was wurde aus ihm?"
„Darüber reden wir ungern."
„Du machst mich umso neugieriger."
„Das hatte ich befürchtet. - Na schön, jener Gon-Orbhon erwies sich als Fehlschlag.
Am Ende ist er desertiert."
„Abgehauen?"
„Ja."
„Geht das denn? Einfach so?"
„Komm bloß nicht auf Ideen, Freundchen." Der Schwebebär lachte.
Auch Kirmizz gab Laute der Erheiterung von sich. In der Tat hegte er keinerlei Fluchtgedanken. Wohin hätte er davonlaufen sollen und vor allem: wozu?
In der Kosmität ausgebildet zu werden war ein überaus seltenes Privileg. Und er lernte gern, saugte Wissen leidenschaftlich in sich auf. Auch das physische Training bereitete ihm meist großes Vergnügen - je härter ihn Ecüisse rannahm, desto mehr.
Es wäre alles in schönster Ordnung gewesen, hätte Kirmizz nicht immer wieder die verflixte Stimme gehört.
*
Der Kosmität, der zumindest seine Gedanken verborgen blieben, erzählte er nichts von den Einflüsterungen.
Etwas sagte ihm, dass es klüger war, nicht alles bedingungslos preiszugeben.
Vielleicht wollte er sich auch dafür revanchieren, dass der Hort ebenfalls Geheimnisse vor ihm hatte.
So oder so, die Stimme ließ ihm keine Ruhe. Nie schwieg sie länger als ein paar Tage. So penetrant durchbrach das körperlose Flüstern seine intimsten Überlegungen, dass er es fast schon vermisste, wenn es in bestimmten Situationen ausblieb.
Kirmizz war aufgefallen, dass es einen Zusammenhang mit den Déjàvus gab, die er ab und zu durchlebte. Immer, wenn er auf unerklärliche Weise bereits vorhandene Kenntnisse oder Fertigkeiten an sich entdeckte, wurde auch die Stimme aktiver.
Deshalb entschloss sich Kirmizz zu einer Art Flucht nach vorn, zu einem Gegenangriff. Wenn er den beunruhigenden.„Mann im Gehör" schon nicht loswurde, wollte er wenigstens wissen, womit er es zu tun hatte.
Er versuchte, weitere Erinnerungsschübe zu provozieren, veranstaltete eine wahre Jagd nach Déjàvus, „sammelte" sie unauffällig, jedoch gezielt. Dazu klapperte er möglichst viele verschiedene Einrichtungen des Campus ab.
Er trieb sich in Rekreationsstätten herum, die ihn davor nicht gereizt hätten. Er belegte Kurse, die ihn eigentlich gar nicht interessierten.
Die Kosmität registrierte dieses Verhalten natürlich. Aber die Erklärung, Kirmizz wolle seinen Horizont erweitern, genügte ihr.
Lange Zeit schien die verstohlene Pirsch nichts einzubringen, außer dass die Stimme ihn noch häufiger mit überschlauen oder schlicht unverständlichen Sprüchen belästigte.
Dann aber geschah es.
Zuerst bemerkte er ein Prickeln auf der Haut, überall am Körper. Dann wurden seine Finger taub, und die Fußlamellen stellten die Nahrungsaufnahme ein.
Ein Schwächeanfall übermannte Kirmizz.
Ihn schwindelte. Er verlor den Gleichgewichtssinn und musste sich schleunig auf ein Sofa legen, sonst wäre er umgefallen.
Kirmizz war allein in einer abgelegenen Mediathek, die er nie zuvor betreten hatte.
Gerade hatte er beim Durchforsten einer sehr alten kosmologischen Datei festgestellt, dass er den Inhalt, der gewiss noch nicht Teil des Lehrstoffs gewesen war, Wort für Wort kannte.
Zwischen dem Mikro- und dem Makrokosmos gibt es mehr Verbindungen, als wir uns träumen lassen. Sie sind unproportionaler; inkongruenter, akausaler Natur und daher schwer zu erkennen. Doch sie existieren, und sei es in metaphorischer Form...
Wie gelähmt lag er da. Alles drehte sich um ihn, jedoch keineswegs in so angenehmer Weise wie damals auf dem heimatlichen Eiland.
Kirmizz schloss die Augen, hinter denen er großen Druck verspürte. Sein Verdauungstrakt, ansonsten absolut unanfällig, verkrampfte. Schauder überliefen Rücken und Oberschenkel.
Ihm war, als müsse er aus seiner Haut fahren. Oder vielmehr: als schlüpfe jemand anders hinein.
Obwohl er sehr erschrocken und der Verzweiflung nahe war, bemühte sich Kirmizz, nach außen hin Ruhe zu bewahren. Die Kosmität sollte nicht mitbekommen, was in ihm tobte.
Bruchstücke seines Gedächtnisses lösten sich ab, ähnlich Glassplittern, die aus einem Mosaik fielen. Dabei handelte es sich um Bestandteile jener Alt-Kenntnisse, die er in sich getragen und im Rahmen der Déjàvus entdeckt hatte.
Die
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