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2366 - Unter dem Kristallgitter

Titel: 2366 - Unter dem Kristallgitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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kennen schien oder je zu Gesicht bekommen hatte?
    Weil man Geistwesen nicht sehen kann, lautete die vordergründige Erklärung. Ein Argument war sie nicht. Ich hatte ja selbst erlebt, dass der Konvergente Denker zumindest in Ansätzen auf Anghur Al-Tare Projektionen erschuf.
    Ich musterte Kirkazon. Seine Haare schienen ein wenig länger zu sein als bei unserer ersten Begegnung. Offenbar hatte er sich in der Zwischenzeit mal gekämmt: Er besaß braune Locken, die ihm bis auf die Schultern reichten.
    Um die Mundwinkel des Abenteurers spielte so etwas wie ein Lächeln. Ahnte er, dass ich ihn halb durchschaute? Zumindest gab er sich keine große Mühe, etwas vor uns zu verbergen. Der Konvergente Denker war den Bewohnern seiner Welt ein guter Lehrmeister in Sachen Aufrichtigkeit.
    Elfah Komo bewegte sich unruhig. Er stöhnte leise, so leise, dass man ihn in den Nachbarabteilen des Frachtwaggons nicht hören konnte. „Wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie es ruhig."
    „Atlan, mein Kind und ich bitten Sie jetzt schon um Nachsicht. Aber wir werden Sie in nächster Zeit wohl über Gebühr beanspruchen."
    „Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Komo. Ich stehe zu Ihrer Verfügung, wann immer Sie mich brauchen."
    „Es kann sein, dass ich mein Kind nicht mehr sehen werde, Atlan!"
    „Keine Sorge, die Natur hat es bei Ihrem Volk besser eingerichtet als bei den Lemurerabkömmlingen. Noch nie ist ein Haluter unmittelbar bei der Geburt verstorben. Denken Sie an die Jahre danach, Komo! Ihr Kind wird alles von Ihnen lernen, was Sie können. Sie werden ihm Ihr gesamtes Wissen vermitteln, und Ihr Kind wird Sie dafür lieben. Sie werden ihm die Wärme geben, die es braucht. Und es wird Halut sehen!"
    „Das ist mein größter Wunsch, Atlan.
    Werden Sie ihn mir erfüllen?"
    Es hatte wohl keinen Sinn, dem Haluter etwas vorzumachen. Er wusste am besten, wie es um ihn stand. Und er wusste auch, dass wir es ihm ansahen. Dennoch akzeptierte er den plumpen Versuch, ihm ein wenig Mut zu machen. „Ja, ich werde ihn erfüllen."
    „Dann ist es gut!"
    Der Haluter schloss die Lamellenaugen.
    Augenblicke später sah ich am Zucken seiner Finger, dass er vor Erschöpfung eingeschlafen war.
     
    *
     
    Eine sachte Berührung am Arm schreckte mich auf. Ich spürte ein leichtes Kribbeln auf der Haut.
    Es war Kirkazon, der mich weckte. Der Abenteurer deutete hinaus. „Achte auf die Gegend, Atlan!"
    Als Erstes warf ich einen Blick auf den Haluter in seiner Kutte. Er schlief noch immer oder schon wieder. Ich hörte seinen gleichmäßigen Atem.
    Die herrliche, aber auf Dauer eintönige Landschaft an der Kauna-Ria-Ligne veränderte sich. Die Wälder verschwanden, an Stelle der grasbewachsenen Ebenen tauchten Hügel auf, hinter denen Felsmassive in den Himmel ragten. In der Ferne sah ich wieder einen Fluss, der aus dem Gebirge kam und in Kaskaden von den mittleren Höhen der Felsmassive herabstürzte. Das Tosen der Wassermassen war bis in den Zug zu hören.
    Vielleicht war es nur Einbildung, aber im Unterschied zu Arkon oder Terra beruhigte das gleichmäßige Rauschen nicht. Im Gegenteil. Es ging mir auf die Nerven, und ich versuchte es aus meinem Bewusstsein zu verdrängen. „Wie lange noch?", fragte ich den Abenteurer.
    Kirkazon legte die Stirn in Falten. „Der Zug fährt sehr schnell, als wüsste der Lokführer, welche empfindliche >Fracht< er befördert. Ich denke, wir erreichen das Ziel morgen Abend."
    Vor der Abfahrt hatte ich mir die Gleise angesehen. Der Zug fuhr am oberen Limit des technisch Machbaren. Einen einleuchtenden Grund hatte ich bislang dafür nicht gefunden.
    Ein Stöhnen aus der Ecke ließ mich herumfahren. Ein Unterton war in dem Laut, der mich alarmierte. Es hörte sich an, als bekäme Elfah Komo keine Luft mehr.
    Ich sprang auf, ging zu ihm und beugte mich über den halbkugelförmigen Kopf. Er öffnete die Lider, sah mich stumm an.
    Haluter besaßen keine Mimik, aber ihre Augen verfügten über eine Ausdrucksstärke wie bei keinem anderen Wesen. „Es ist also so weit", sagte ich.
    Der mächtige Körper krümmte sich vor Schmerzen. Die Wände, an denen er lehnte, knackten gefährlich. „Gehen Sie zur Seite", ächzte der Riese. „Ich muss mich hinlegen."
    Wieder lief eine Schmerzwelle durch seinen Körper. Mit fahrigen Bewegungen fing Elfah Komo an, seine Stiefel und den Einsatzanzug auszuziehen.
    Ich öffnete die schmalen Fenster unter der Decke, damit frische Luft in das Frachtabteil strömen konnte. „Verschwinden Sie jetzt!

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